1948 - Roman
von dir, Frau Moische, scher dich zum Teufel, ich will nicht kalt, nicht heiß, kein Wasser, kein gar nix.
Meine Mutter stand wie gebannt ob der »Erscheinung«, wie sie es später nannte, ohne noch zu wissen oder erklären zu können, welcher Art diese Erscheinung gewesen war. Dabei war sie ja keine verwöhnte Absolventin eines Schweizer Pensionats, sondern in Armut aufgewachsen und als kleines Mädchen an Bord eines muffigen Schiffs aus Odessa ins Land gekommen, wo die Türken, die sie stets mit »ausgelöscht sei ihr Name« verfluchte, sie im Ersten Weltkrieg aus Tel Aviv nach En Ganim bei Petach Tikwa verbannt und auch noch verprügelt hatten. Ihr war wahrlich nichts erspart geblieben. In En Ganim musste sie auf einem Stoppelfeld nächtigen und die arabischen Dörfer der Gegend nach Ziegen abklappern, um Milch für ihren kranken Vater aufzutreiben. Wieder in Tel Aviv, saß sie vor seiner Zimmertür, wenn er jungen Mädchen Hebräisch beibrachte, denn eine türkische Verordnung untersagte den Gebrauch dieser Sprache. Sie bellte wie ein Hund, sobald ein türkischer Polizist auftauchte, und schon stimmten die Schülerinnen das hebräische Lied »Tragt nach Zion Banner und Fahne« an, als handle es sich um eine Gesangsstunde, denn singen durfte man. Alle waren ihr weggestorben, ihr Vater, ihre Mutter, ihre beidenBrüder, der Schakal, der Freundeskreis, Lehrer Bograshov, Lehrer Brenner, Lehrer Nescher. Und als die arabischen Unruhen von 1921 einsetzten, versorgte sie die verkohlten Leichen von Brenner und seinen Gefährten. Meine Mutter wusste, was Krieg bedeutet, hatte auch die arabischen Unruhen von 1929 und 1936 und den Weltkrieg miterlebt, aber vor diesem Mann verkniff sie die Lippen, als sei sie wieder der Hund ihres Vaters, und als sie das Zimmer verlassen hatte, blieb es einige Minuten lang still.
Sie ging in die Küche und weinte und setzte dabei Wasser auf für keinen, denn mein Vater trank niemals den Kaffee, den sie kochte, sondern nur den, den er selbst in einer merkwürdigen Maschine braute, die er aus Deutschland mitgebracht hatte, und Tee hasste er, weil der ihm zu jüdisch war. Im Hintergrund hörte man die Brandung, und mal schrien die beiden, mal redeten sie im Flüsterton. Der Mann sagte, Moische, kim aher und knie vor mir nieder, du Halunke und Sohn eines Engels, und ich begriff, dass mein Vater auf die Knie fiel, was mir heute unmöglich vorkommt, aber ich erinnere mich ja daran, sehr gut sogar. Zwei Stunden später ging die Tür auf, und sie standen beide weinend da, mein Vater, den ich noch nie weinen gesehen hatte, und der blasse Mann, dem die Tränen wie Wasser runterliefen. Sie verließen das Zimmer, und der Mann kam auf mich zu und lachte auf einmal. Er hatte kaum Zähne im Mund und sagte: Staub bist du, ihr seid Staub, nichts seid ihr, dein Vater nichts, deine Mutter nichts, du nichts, so viel Hebräisch kann ich noch. Wie wird ein Volk von Juden zu Staub? Seit wann leben Juden in einem eigenen Staat? Es wird keinen Staat geben. Juden sind nicht Jüdischer Nationalfonds und nicht Ben Gurion. Herzl hat das eingesehen und ist deshalb außerhalb von Erez Jisroel gestorben. Was hatte er in einem Land vonJuden verloren? Er hat Juden wie unsereinen doch verachtet. Und wo war dein Vater geboren? In Berlin? Er stammte aus Tarnopol in Galizien, war nur deswegen Österreicher, weil die Halunken von Franz Joseph bis dorthin gelangt sind. Und er hat für sie gekämpft und ist Offizier geworden und wollte sich dem deutschen Heer anschließen. Und du, wer bist du? Eine Art Araber, der keine jüdische Sprache kann. Du wirst den Deutschen, die sich hierzulande als Araber verkleidet haben, den Hintern ablecken, und ihr werdet all die Knochen der Juden herschaffen und sie hier begraben, so wird das hier ein Friedhof für den Staub toter Juden. Du weißt, mein Kind , was für ein Mann dein Großvater gewesen ist, und dein Papa will mich nicht. Er schämt sich eines wie mir, aber mit den Deutschen steht er sich gut. Die liebt er. Er hat uns in Tarnopol dem Tod überlassen. Hat sich als Deutscher verkleidet und den Deutschen den Hintern abgeleckt, hat in Berliner Nazi-Bars Musik gemacht, aber nicht mit mir. Mit mir hat er nicht musiziert. Ich bin zu jüdisch. Ich bin, wie ihr sagt, ein Diaspora-Jude. Und dann lächelte er lieb und sanft und küsste meinen Vater auf die Lippen, und mein Vater erwiderte den Kuss. Und danach löste er sich abrupt von meinem Vater und weinte leiser weiter, rückte die
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