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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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auf Wanderschaft zu begeben, nichts Kühnes mit seinen Sehnsüchten anzufangen wissend. Unsere Lehrer dachten doch, wir würden unser uraltes Land, unsere nationale Heimstätte wiederaufleben lassen und Israel rächen, Vergeltung für die Pogrome üben. Sie wollten, dass wir eine riesige Vergeltungsaktion gegen die jüdische Geschichte starteten, wie etwa in Chaim Hasas’ Erzählung Die Predigt , die wir alle auswendig kannten. Wir sollten eine neue, eigenständige, männliche jüdische Geschichte schaffen, damit wir nicht mehr auf Gedeih und Verderb der Geschichte anderer Nationen ausgeliefert wären, sollten dem gedemütigten, bis zur Ausrottung verfolgten Volk Ehre einbringen. Und so zogen wir denn aus, einen Staat zu gründen, gegen Chmielnicki und gegen die Kosaken und gegen die Deutschen, fanden aber nichts vor als Araber. Die kannten wir von den Schüssen auf uns in den dreißiger Jahren, wenn wir nach Gedera fuhren, und von den Eseln und vom Markt in Jaffa und von den Schreien» itbach al-yahud «, metzelt die Juden, und von der schmackhaften Tahina, dem Kaffee mit Kardamom, dem Khayat-Strand des edlen Arabers, den mein Vater gern in seiner Luxusvilla in Haifa besuchte, aus den Geschichten über Kibbuz Hanita und Orde Wingate und von dem Töten und der Wut und dem Kampf seit den zwanziger Jahren.
    Was hier vor zweitausend Jahren passierte, war für unsere Väter Legende und gebrannte Tonscherben, für uns war es Geschichte und Geographie des Landes. Wir waren Kinder der Bibel, aber auch Kinder des Buchs der Haggada , der Legendensammlung aus Talmud und Midrasch, die Chaim Nachman Bialik und Jehoschua Rawnitzki zusammengestellt hatten. Wir lasen gern, wie Mose Josua ins Stiftszelt kommen sah und ihn beneidete und zu Gott sagte: »Hundert Tode, nur keinen einzigen Neid.« Unsere Eltern waren Polen, Russen, Deutsche, Rumänen oder Griechen, die Sorgen und Erniedrigung gekannt hatten und in ihre historische Heimat gekommen waren, um getreu dem bekannten Gebet »unsere Tage zu erneuern wie ehedem«. Vor über sechzig Jahren, von Dezember 1947 bis Ende 1948, waren wir die gern besungenen Jungen »von schöner Haartolle und Gestalt«. Ja, das waren wir wirklich, das kann ich beschwören.
    Es gab damals drei Sorten Zahnpasta: Shemen aus der gleichnamigen Speiseölfabrik, Shenhav von der Krankenkasse und die britische Marke Dr. Collins, die ungekrönte Königin unter den dreien. Wir rauchten Matossian, Latif, Degel, Odem, Dubek, Player’s, Craven A im Zehnerpack. Wir hatten kaum Waffen, unterstanden kampfdurstigen, aber kampfunerfahrenen Befehlshabern, die bis zu ihrer Ernennung nichts vom mörderischen, leid- und todbringenden Krieg gekannt hatten, als Brücken zu sprengen und sich gegenseitig im Nahkampftraining zu kloppen.Wir waren – und das ist keine Phrase, ungeachtet dessen, was boshafte Menschen, die zur Selbstgeißelung eine neue postzionistische Geschichte erfanden, über uns geschrieben haben – tatsächlich wenige. In jenen harten Monaten bis zum ersten Waffenstillstand waren wir ein hungriger und durstiger versprengter Haufen. Die meisten unserer Altersgenossen waren noch nicht eingerückt. Erst gegen Ende des Schuljahrs mussten sie die 12. Schulklasse vorzeitig verlassen, aber mit dem Abitur in der Tasche. Ich hatte dagegen nur das Abschlusszeugnis der Volksschule, die heute Grundschule heißt, und auch das war kein Glanzstück.
    Ich habe vorzeitig den Militärdienst angetreten, ein paar Monate früher, und bis heute frage ich mich, ob ich ein Trottel war, weil ich immer von dem Fahrrad gepurzelt bin, das ich zu meiner Bar Mizwa bekommen hatte, einem roten Peugeot, während alle anderen ein Ralley fuhren. Vielleicht war ich dabei auf den Kopf gefallen, denn ich guckte jedem hübschen Mädchen auf der Straße nach, sogar den weniger hübschen, was wusste ich damals schon von weiblicher Schönheit, und das war gefährlich, deshalb bin ich gestürzt. Ich habe das Gymnasium nie abgeschlossen, und als meine Klassenkameraden einrückten, hatten wir ihnen schon einen Staat gegründet, um sie dafür zu rekrutieren.
    Wir waren in Jerusalem und am Bab el-Wad. Anders als in anderen Brigaden mit Kibbuzniks und Agrarkursteilnehmern und Palmach-Zelten und nächtlichen Liedern gab es bei uns zwar ein paar Schulabgänger aus Kibbuzim, aber in der Mehrzahl waren wir Hinterwäldler aus allen möglichen Ecken des Landes: aus den alten landwirtschaftlichen Kolonien, aus dem damaligen Tel Aviver Barackenviertel Machlul,

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