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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Jiddisch träumen und in keiner anderen Sprache zählen. Ich entgegnete ihm, ich spräche kein Jiddisch und würde auf Hebräisch träumen und auf Hebräisch zählen, und er sagte, sei unbesorgt, wenn du mal stirbst, stirbst du auf Jiddisch. Wenn ein Hebräer stirbt, dann stirbt er auf Jiddisch. Hebräisch ist eine Sprache von Arabern, die sich als Juden ausgeben.
    Er redete weiter mit seinem komischen Akzent: Hebräisch kann ich nur wenig, hab ich in Tarnopol gelernt, derStadt von deinem Moische, und ich sag »chofejz« statt eurem »chafez« (verlangen), und ihr lacht über mich, und ich sag das alte biblische Wort für »wollen« statt des modernen, und ihr könnt mir gar nichts sagen, denn wir werden ja sehen, wer zuletzt lacht oder zuerst, aber das fiese Deutsche, von deinem miesen Taten (Vater), das red ich nicht. Wo steckt er überhaupt? Ich sagte ihm, mein Vater sei kein Halunke, und er sagte, und was für ein Halunke er ist, und rief: Na hör mal, werd du mir nicht übermütig. Ich sagte ihm, ich sei nicht übermütig, und er sagte, trotzdem kriegst du von mir keinen Händedruck, du Sabre-Bastard, und nun geh schon und sag Moische, dass ich da bin.
    Ich fragte ihn, wer er sei, um es meinem Vater ausrichten zu können, und er rief, der weiß schon, wer ich bin. Tatsächlich hatte mein Vater den Lärm gehört und wohl die Stimme erkannt, denn er kam aus seinem Zimmer und sah den Mann, und beide verharrten starr, wie vom Donner gerührt. Einen langen Moment sahen sie aus wie Wachspuppen und maßen einander. Danach ging der erloschene Mann auf meinen Vater zu, blieb vor ihm stehen, trat kurz wieder zurück, als wären wir hier bei einem Ballett von Rina Nikowa, das ich mal mit meiner Tante Esti gesehen hatte – und dann stürzten sie aufeinander los und prügelten sich. Sie rangen tatsächlich tonlos miteinander, man sah förmlich die Verzweiflungsschreie, aber sie blieben stumm, obwohl ihre Münder sich bewegten und ihre Körper schrien. Und dann gingen sie zum Jiddischen über, und das war das erste Mal, dass ich meinen Vater Jiddisch sprechen hörte, und das erste Mal, dass ich ihn jemanden schlagen sah, und das erste Mal, dass er vor meinen Augen jemanden umarmte. Er nahm ja nicht mal seine Frau in die Arme und auch uns nicht, weder meine Schwester noch mich.
    Mein Vater sah mich überhaupt nicht. Schaute mich nicht an. Er blickte zur Tür der Nachbarin hinüber und murmelte etwas, und ein paar Minuten später traten beide mit fast synchronen Schritten zurück, weg voneinander, und der Fremde spuckte aus. Und mein Vater, der stets Gepflegte, korrekt Gekleidete, der seine Sachen bei Schneider Neumann bestellte, mein Vater, der sogar beim Gang zur Toilette die Krawatte nicht ablegte, dieser arme Geck beugte sich wie ein Tier zu Boden, zog ein gestärktes weißes Taschentuch aus der Tasche seines blauen Hemdes, wischte den Speichel des Mannes auf, faltete das Taschentuch wieder zusammen und steckte es ein. Das war mein Vater, der imstande war, Seifenstücke abzuspülen, damit sie sauberer wurden. Er zog den Mann in sein Zimmer und warf die Tür hinter sich ins Schloss.
    Sie blieben lange im Zimmer meines Vaters. Nach einiger Zeit drangen laute Stimmen heraus, und ich hörte den Mann in etwas komischem Hebräisch kreischen, aber eben auf Hebräisch, damit auch ich es verstehen sollte: Moische, was denn? Soll dein unbeschnittener Sohn, der gojische Lümmel aus Erez Jisroel, dein nicht einziger Sohn Efraim, es etwa nicht mithören? Und sag, was ist mit Joschke? Und mit Bumek? Und mit Jetka? Und was ist mit Nathan, dem Freund deines Bruders Dov Bär, von dem es vor seinem Verschwinden hieß, er hätte einen Kosaken umgelegt? Und was ist mit Naftole, dem Poeten von »Komm, Braut Zion und erbittet ihren Frieden«? Und mein Vater fragte nach: Was, der, der bei Hakoach Wien Fußball gespielt hat? Und der Mann sagte, genau der, und war da nicht auch Havazelet Hascharon? Und Hassia? Und wieso hast du kein bissel Herz? Wie ist Mottele geflohen, als er deinen lieben Bruder in Sibirien suchenging, und wo warst du? Sie suchen dich im Himmel. Du bist ein Halunke, und nicht einer, wie ihn die Thora erlaubt, denn die ist dort bei uns gestorben, als du abgehauen warst, sondern ein Halunke mit der Erlaubnis deines Vaters Mordechai, Moische, weil du deine Leute verlassen hast.
    Meine Mutter trat erschrocken ins Zimmer und fragte, ob der Mann Kaffee oder Tee oder was Kaltes trinken wolle, aber er schrie sie an: Ich will gar nichts

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