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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Sturmtruppe Palmach, weil ich sagte, ich wolle die Überlebenden an die Küsten des Landes bringen, ohne richtig zu überlegen, wohin die Flüchtlingsschiffe tatsächlich gelangen würden. Und gleich nach den Übungen auf See ging’s ja ab zum Kämpfen ins Bergland von Jerusalem und Judäa. Ich war vorgeblich eingerückt, um Juden an Land zu holen – und dann? Dachte ich etwa, die Schiffe würden im Hafen von Jerusalem einlaufen, der zwischen Wüste, grüner Flur und dem Bab el-Wad, dem »Tor der Schlucht«, lebendig begraben lag? Und vorher hatten unsere lächerlichen Lehrer uns doch noch mühsam eingetrichtert, dass wir »das Land erbauen und von ihm erbaut werden« sollten, wobei wir kaum richtig begriffen, was sie damit meinten. Wir waren ja hier geboren. Mitten rein zwischen Disteln und Schakalen, zwischen Karren, die von Mauleseln mit Scheuklappen gezogen wurden, umringt von Kaktusfeigen und Granatäpfeln und herrlich dichten Zypressen. Und wie macht man das eigentlich: erbauen und erbaut werden?
    Hier und da war schon von einem hebräischen Staat die Rede. Der Begriff »Staat« klang unvertraut, unecht. Seit wann hatte unser Volk denn einen Staat, nach zweitausend Jahren? Und was für ein Staat sollte das wohl werden? Wie würde dieses kleine Staatsgebilde aussehen? Wie Liechtenstein, wie der Kongo? Sollte Ben Gurion einen Zylinderaufsetzen und sich auf eine Kiste stellen, wie weiland Herzl auf dem berühmten Balkon in Basel, um größer zu wirken? Sollte ein hebräischer Polizist trillern? Und womit? Mit einem Widderhorn?
    In einem alten Band, der versteckt hinter den deutschen Büchern meines Vaters stand, fand ich die Geschichte der historischen Auseinandersetzung zwischen Rabbi Schneur Salman von Ladi und Rabbi Israel von Konitz über die mögliche Eroberung Moskaus durch Napoleon. Mein Vater hatte sie mit Rotstift angestrichen und in der verschnörkelten Raschi-Schrift kommentiert, die er gern benutzte – mit jenem Funken des Juden aus Galizien, der in Berlin geboren zu sein meinte und zuweilen hebräische Gebete zwischen den Schubert- und Brahms-Liedern trällerte. Die beiden Rabbis wollten ein für allemal klarstellen, ob ein Triumph Napoleons gut oder schlecht für die Juden wäre. Der Rabbi von Konitz war für Napoleons Sieg, der Rabbi von Ladi war dagegen. Und weil es um das Schicksal der Juden ging, war der dynamische Rabbi von Ladi so erschüttert ob der großen Aufgabe, dass ihm die Tränen aus den Augen rannen, und er bestellte den Konitzer ins Bethaus, um zu entscheiden, wer recht hatte. Das sollte der sein, der von beiden zuerst das Schofar blies. Wie es sich nun ergab, kam der Rabbi von Ladi ein wenig zu spät, und der Rabbi von Konitz legte als Erster sein Schofar an die Lippen und stieß hinein, aber der Rabbi von Ladi stürmte ins Bethaus, schnappte dem Rabbi von Konitz das Schofar aus der Hand und entriss ihm den Fanfarenstoß – und das führte zu Napoleons Niederlage vor Moskau und bestimmte das Schicksal der Juden.
    Genauso erging es uns. Wir waren ausgezogen, um Juden vom Meer an Land zu bringen, und haben schließlich in den Jerusalemer Bergen einen Staat gegründet. Es wärefalsch zu behaupten, wir hätten für die Gründung dieses Staates gekämpft. Woher sollten wir denn wissen, wie man einen Staat gründet? Hatte es uns schon mal einer vorgemacht? Unsinn, der hebräische Staat war ein Fanfarenstoß, der dem Schofar anderer Leute entrissen wurde, und ja, kraft des Wunders, das die wahre Tat darstellte, hat der Fanfarenstoß irgendwie sein Ziel erreicht. Als die Palmach Safed eroberte (ich war nicht dabei), behauptete ja der Stadtrabbiner, Safed sei durch Taten und Wunder erobert worden: Die Taten seien die Gebete gewesen und das Wunder habe darin bestanden, dass die Palmach eingetroffen sei. Unser Auftrag lautete, Wunder zu vollbringen. »Staat« war ein nebulöser oder gar komischer Begriff. Das Erste, was wir von der Geschichte unseres Volkes wussten, war doch, dass unser Urvater Abram aus seiner Heimat floh, weil er einen Gott – nicht den von Moses, sondern einen anderen, kanaanitischen, in Mesopotamien – hatte sagen hören: »Zieh weg aus deinem Heimatland!« Woher sollten wir dann wohl wissen, was Heimatliebe war? Sollten denn ausgerechnet wir unter all den Völkern nun plötzlich ein Volk werden, das ein Land, das noch gar nicht sein Eigen war, liebte und darin einen Staat gründete? Wir waren doch ein Volk der gepackten Koffer, der Wanderer, erfüllt von Sehnsucht

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