196 - Auf der Flucht
großes, wild glänzendes Auge auf sie.
***
In der Dämmerung erreichte Yunupi eine Weggabelung und hielt inne. Zur Rechten verlief der Haywee Richtung Süden, eine ewig gleiche Schleifspur in der Steppe. Zur Linken führte ein Trampelpfad nach Nordosten. Sandhügel zeichneten sich am Horizont ab, glühende Kuppeln in der Abendsonne.
Die brennenden Dünen , dachte Yunupi. Dahinter, im Schatten des Flammenfelsens, wird die Heimat des Retters liegen. Aber würde er ihn dort auch finden? Und wenn ja, wie sollte er mit ihm sprechen?
In keiner Erzählung über den Yowie hatte es jemals einer versucht.
Yunupi wandte sich nach links und marschierte weiter. Jetzt, da seine Reise sich dem Ende näherte, kamen die verdrängten Gedanken an Zuhause wieder an die Oberfläche. Wie mochte es seinem Volk in der Zwischenzeit ergangen sein? Ob Tarr an ihn dachte? Und Kantana? Vielleicht glaubten sie, dass er einfach fortgelaufen war, genau wie seine Mutter?
Die Schande der Geburt flackerte erneut auf und brannte in seiner Brust. Ich muss es schaffen, den Retter zu uns ins Tal zu locken! Eine Rückkehr mit leeren Händen gibt es für mich nicht.
»Lieber sterbe ich!«, rief er voller Inbrunst in den wolkenlosen Himmel.
Der Budgerigar, der gemütlich auf Yunupis Schulter gekauert hatte, flatterte zeternd in die Höhe.
»Na los, Stry, zeig mir den Weg. Gil hat gesagt, ich soll auf dich vertrauen. Also, flieg voraus und such den Retter!«
Stry drehte ab, und für einen Moment dachte Yunupi, sein Freund hätte ihn tatsächlich verstanden. Doch der kleine Vogel kehrte bald um, landete auf Yunupis Kopf und knibbelte an den Filzzöpfen.
Yunupi seufzte.
Was wie ein Spiel des Lichts ausgesehen hatte, entpuppte sich als wahrhaftig. Roter Sand füllte den Landstrich aus und gab der Wirklichkeit etwas Traumhaftes. Was kam als Nächstes? Ein grüner Himmel? Trockenes Wasser?
Yunupi fühlte sich umso unbehaglicher, je tiefer er in dieses Gebiet vordrang. Trafen hier die Welten aufeinander? War dieser Ort ein Teil der Traumzeit? Der Retter würde wohl kaum in einer einfachen Höhle hausen. Doch wenn es das Reich der Geister und Götter war, dann lebte nicht nur der Yowie hier.
Yunupi biss die Zähne zusammen und versuchte nicht an die Schöpfergeschichte und ihre zahlreichen Mitgestalter zu denken.
Die Hitze des Tages war abgeklungen. Graublaue Dämmerung breitete sich aus. Der Mond ging heute früh auf und zeigte Yunupi den Weg. Er wanderte Sandhügel um Sandhügel, ruhte immer nur kurz, um die Nacht so gut wie möglich zu nutzen. So kam er viel schneller voran. Erst gegen Morgen, wenn die Gluthitze zurückkehrte, wollte er nach einem schattigen Platz suchen und ein paar Stunden schlafen.
Am Himmel zeigte sich der erste Silberstreif, als Yunupi, der soeben wieder eine Düne erklomm, unerwartet Geräusche hörte. Eine Mischung aus Schnaufen, Knurren, Schreien und Plantschen erklang aus der Senke unter ihm.
Dort muss ein Billabong sein! , war Yunupis erster Gedanke.
Endlich schienen die Ahnen über seinen Pfad zu wachen und ihm Hilfe zu senden, indem sie ein Wasserloch an den Wegerand setzten!
Aber wer mochte sich dort unten um das kostbare Gut streiten?
Vorsichtig, die Tasche auf den Rücken geschoben und den Treibstock griffbereit, schlich Yunupi den sandigen Boden hinab.
Unten angekommen, versperrten ihm hohe, dicht verzweigte Sträucher die Sicht. Er fand ein Sichtloch, das er ein wenig weiter öffnen konnte.
Es war kaum zu glauben, was er da sah. Ein ausgewachsener Bunyip, der böse Geist des Wassers, stand bis zu den haarigen Knien im Billabong und kämpfte mit einem Menschen!
Yunupi blinzelte und rieb sich die Augen. Fasziniert schlich er die Böschung entlang, bis an den Rand, um eine bessere Sicht zu bekommen. Nun war er nur noch zwei Speerwürfe entfernt. Im zunehmenden Licht des neuen Tages erschien das menschliche Wesen ungewöhnlich schmal und groß. Und… es war eine Frau!
Eine Art starres Wurzelgeflecht überzog ihren Körper und ließ die weiblichen Rundungen besonders deutlich zutage treten. Ihre Haut erschien hell, fast so wie der Mond. Zart sah sie aus, doch ihr Handeln war das einer Kriegerin. Und da war noch etwas auf ihrem Körper, ein Muster – magische Zeichen, die ihr mit der heiligen Farbe Ocker auf den Leib geschrieben waren?
Eine Abgesandte der Ahnengeister! Anders konnte sich Yunupi diese Erscheinung nicht erklären. Aber warum kämpfte sie gegen ihresgleichen?
Während der Bunyip mit seinen
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