1962 - Das Virtuelle Schiff
werden! Ich? Aba Ossaq tat, als sei er maßlos erstaunt. Es gelang ihm, nach außen hin ein Bild absoluter Unschuld vorzutäuschen. Öffne dich! befahl sein Ziehvater. Ich will alles von dir wissen. Dein Wort genügt mir nicht mehr. Was habe ich getan, dass ich meinen Geist vor dir entblößen soll? fragte der jugendliche Gestalter.
Gabrel Gurh verlangte etwas von ihm, was weit über das hinausging, was gemeinhin vertretbar war. Er sollte ihn in seine intimsten Gedanken eindringen lassen, sich selbst bis auf den Grund seiner Seele offenbaren. So etwas kam nur in Frage, wenn jemand beschuldigt wurde, ein schweres Verbrechen begangen zu haben. Aba Ossaq erinnerte sich nicht daran, jemals von einem solchen Begehren gehört zu haben. Du wirst es tun! Das kann mir noch nicht einmal. Jorim Azao befehlen, weigerte sich Aba Ossaq.
Emor Gharehn ist getötet worden, und ich will wissen, von wem, empörte Gabrel Gurh sich. Der Verdacht liegt nahe, dass es nur einer aus der Familie gewesen sein kann. Wenn du es getan hast, wirst du deiner Strafe nicht entgehen. Dich wird das gleiche Schicksal ereilen, dem Emor Gharehn zum Opfer gefallen ist. Das ist ungeheuerlich! empörte sich der junge Gestalter. Das ist ein so schrecklicher Verdacht, dass es mir den Atem verschlägt. Wann hätte je ein Gestalter getötet? Du wirfst mir das schlimmste Verbrechen vor, das überhaupt vorstellbar ist - die Tötung eines Familienmitglieds. Ausgerechnet du, der du wie ein Vater für mich bist. Es ist unfassbar; dass du glaubst, ich hätte so et was getan. Deshalb rede ich nicht mehr mit dir.
Aba Ossaq zog sich in die Isolation zurück und wehrte jeden Versuch Gabrel Gurhs ab, zu ihm vorzudringen. Zugleich aber ließ er eine winzige Lücke in seiner Abwehrmauer geöffnet, um durch sie eine Art psionischen Spionstrahl hinauszuschicken und die Familie weiter zu belauschen. Er wollte vorbereitet sein, wenn sie ihn attackierte. Er verfolgte, wie sich die einzelnen Familienmitglieder miteinander berieten. Jorim Azao beschloss am Ende, dass alle gemeinsam gegen den jungen Gestalter vorgehen sollten. Sie hatten erfahren, über welche Macht er verfügte, und einigen unter ihnen war er unheimlich.
Sie fürchteten ihn, waren jedoch bereit, den Kampf gegen ihn aufzunehmen, wenn die gesamte Familie ihre Kräfte bündelte. Auf diese Weise sollte ein Potential entstehen, dem Aba Ossaq auf keinen Fall gewachsen sein konnte. Kaum war die Familie sich einig geworden, als Aba Ossaq auch schon den Aufprall der geballten psionischen Energie spürte. Er war sich klar darüber, dass Jorim Azao und die anderen ihn nicht töten, sondern reduzieren wollten. Moralisch hochstehende Wesen wie die Gestalter waren gar nicht in der Lage, sein Leben auszulöschen. Doch sie konnten ihm seine Macht nehmen, sie konnten ihn in seinen Fähigkeiten beschneiden, bis er kaum noch er selbst, sondern lediglich ein Torso seines Ichs war.
Davor hatte der junge Gestalter eine geradezu panische Angst. Er wollte sich auf keinen Fall reduzieren lassen, sondern war entschlossen, mit allen Mitteln um sich und um den Erhalt seiner Persönlichkeit zu kämpfen. Und sei es nur, um Jorim Azao irgendwann heimzuzahlen, was er ihm angetan hatte und nun wiederum antat! Auf Gnade konnte Aba Ossaq nicht hoffen. Der ganze Zorn der Familie würde sich vor allem dann auf ihn richten, wenn sie herausfand, dass er auch noch seinen leiblichen Vater Juhrn Anha getötet hatte.
Die Luft im Mittelgang des Virtuellen Raumschiffs flimmerte, und für den Bruchteil einer Sekunde erschien Vaiyatha. Gleich darauf materialisierte sie einige Schritte davon entfernt. Sie blickte Alaska Saedelaere an, streckte die Hand nach ihm aus und schien etwas sagen zu wollen, verschwand dann jedoch wieder. Nach Tagen blieb das Bild stabil, und sie schritt auf ihn zu. „Mir scheint, dass in diesem Schiff noch so einiges nicht richtig funktioniert", sagte der Terraner zur Begrüßung. „Oder sollte es etwas geben, was keinen Störungen unterliegt?"
„Wir arbeiten daran", sagte sie mit der Spur eines Lächelns auf ihren schönen Lippen. „Die VIRTUA/18 vervollkommnet sich von Stunde zu Stunde."
„Wieviel Zeit bleibt noch bis zum Ende dieser Reise?" fragte er. Sie trat an die Balustrade heran und blickte in das Bassin, in dem sich ein Mikrokosmos zu befinden schien. Dann wandte sie sich ihm zu und zuckte mit den Achseln, als sei nicht besonders wichtig, wieviel Zeit ihnen noch zur Verfügung stand. „Ich weiß es nicht",
Weitere Kostenlose Bücher