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1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

Titel: 1984 (Kurt Wagenseil: Übers.) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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sagte die Stimme. »Gesicht zur Tür. Rühren Sie sich nicht.«
    Der kinnlose Mann gehorchte. Seine großen Hängebacken zitterten unbeherrscht. Die Tür sprang klirrend auf. Als der junge Offizier hereinkam und beiseite trat, tauchte hinter ihm ein kleiner untersetzter Wachmann mit riesigen Armen und Schultern auf. Er nahm vor dem kinnlosen Mann Aufstellung, und dann, auf ein Zeichen des Offiziers hin, landete er einen furchtbaren Faustschlag mit Unterstützung der ganzen Wucht seines Körpergewichts gerade auf den Mund des kinnlosen Mannes. Die Gewalt des Hiebes schien ihn fast vom Boden zu lüpfen. Sein Körper wurde durch die Zelle geschleudert und von dem Klosettbecken aufgehalten. Einen Augenblick lag er wie betäubt da, während dunkles Blut aus seinem Mund und seiner Nase sickerte. Ein ganz leises Wimmern oder Winseln, das unbewußt zu sein schien, entrang sich ihm. Dann rollte er auf die Seite und richtete sich unsicher auf Hände und Knie auf. Unter einem Strom von Blut und Speichel fielen die beiden Hälften einer Gebißplatte aus seinem Mund.
    Die Gefangenen saßen ganz still, ihre Hände über den Knien verschränkt. Der kinnlose Mann kletterte auf seinen Platz zurück. Sein Mund war zu einer formlosen kirschroten Masse mit einem schwarzen Loch in der Mitte geschwollen. Von Zeit zu Zeit tropfte ein wenig Blut auf die Brust seines Trainingsanzugs. Seine grauen Augen huschten noch immer von Gesicht zu Gesicht, schuldbewußter denn je, so, als wollte er herausfinden, wie sehr ihn die anderen wegen seiner Erniedrigung verachteten.
    Die Tür öffnete sich. Mit einem kleinen Wink bezeichnete der Offizier den Mann mit dem Totenschädelgesicht.
    »Zimmer 101«, sagte er.
    Neben Winston war ein keuchendes Atmen zu hören, und eine Aufregung entstand. Der Mann hatte sich auf die Knie geworfen und hob die gefalteten Hände:
    »Genosse! Herr Offizier!« schrie er. »Sie brauchen mich nicht dorthin zu bringen. Hab' ich euch nicht bereits alles gesagt? Was wollt ihr noch wissen? Es gibt nichts, was ich nicht gestehen würde, nichts! Sagen Sie mir, was es sein soll, und ich gestehe es auf der Stelle. Schreiben Sie es nieder, und ich unterschreibe – alles! Nur nicht Zimmer 101!«
    »Zimmer 101«, sagte der Offizier.
    Das schon sehr bleiche Gesicht des Mannes nahm eine Farbe an, die Winston nicht für möglich gehalten hätte. Es war deutlich, unmißverkenntlich eine Schattierung von Grün.
    »Machen Sie alles mit mir!« schrie er. »Ihr habt mich seit Wochen hungern lassen. Macht weiter damit und laßt mich sterben. Erschießt mich. Hängt mich auf. Verurteilt mich zu fünfundzwanzig Jahren. Ist sonst noch jemand da, den ich angeben soll? Sagt nur, wer es ist, und ich sage alles aus, was ihr wollt. Es ist mir gleich, wer es ist oder was ihr mit ihm anfangt. Ich habe eine Frau und drei Kinder. Das größte davon ist noch keine sechs Jahre alt. Ihr könnt sie alle nehmen und ihnen vor meinen Augen die Gurgeln abschneiden, und ich will dabeistehen und zuschauen. Aber nicht Zimmer 101!«
    »Zimmer 101!« sagte der Offizier.
    Der Mann blickte außer sich rundum die anderen Gefangenen an, so, als schwebe ihm der Gedanke vor, ein anderes Opfer an seine Stelle setzen zu können. Seine Augen blieben an dem zerschlagenen Gesicht des kinnlosen Mannes haften. Er reckte einen mageren Arm.
    »Den da solltet ihr nehmen, nicht mich!« rief er. »Sie haben nicht gehört, was er gesagt hat, nachdem man ihm das Gesicht zerschlagen hat. Geben Sie mir die Möglichkeit, und ich wiederhole Ihnen jedes Wort davon. Er   ist es, der gegen die Partei ist, nicht ich.«
    Die Wachen traten vor. Die Stimme des Mannes steigerte sich zu einem Schreien. »Sie haben ihn nicht gehört!« wiederholte er. »Etwas am Televisor war nicht in Ordnung. Er ist der, den Sie wollen. Nehmen Sie ihn, nicht mich.«
    Die zwei stämmigen Wachleute waren stehen geblieben, um ihn an den Armen zu ergreifen. Aber gerade in diesem Augenblick warf er sich auf den Boden der Zelle und umklammerte eines der eisernen Beine der Bank. Er hatte ein wortloses Geheul angestimmt, wie ein Tier. Die Wachen griffen zu und versuchten ihn loszureißen, aber er hielt sich mit erstaunlicher Kraft fest. Vielleicht zwanzig Sekunden lang zerrten sie an ihm. Die Gefangenen saßen still da, die Hände auf ihren Knien gefaltet, und blickten geradeaus vor sich hin.
    Das Geheul hörte auf; der Mann hatte keinen Atem mehr übrig, außer um sich festzuhalten. Dann ertönte eine andere Art von

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