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1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

Titel: 1984 (Kurt Wagenseil: Übers.) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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aus einer ganz anderen Welt, einer Art von tief unter ihr gelegenen Unterwasserwelt, empor zutauchen. Wie lange er dort unten gewesen war, wußte er nicht. Seit dem Augenblick seiner Festnahme hatte er weder Dunkelheit noch Tageslicht zu sehen bekommen. Außerdem waren seine Erinnerungen unzusammenhängend. Es hatte Zeitspannen gegeben, in denen das Bewußtsein – sogar die Art von Bewußtsein, die man im Schlaf hat – vollkommen ausgeschaltet gewesen war und sich nach einer Zwischenpause der Leere wieder eingeschaltet hatte. Aber ob diese Zwischenpausen Tage oder Wochen oder nur Sekunden währten, konnte er nicht sagen.
    Mit jenem ersten Schlag auf den Ellbogen hatte der Alptraum begonnen. Erst später sollte er erfahren, daß alles, was damals geschah, lediglich ein Vorspiel, ein Schabloneverhör war, dem fast alle Gefangenen unterworfen wurden. Es gab eine lange Reihe von Verbrechen – Spionage, Sabotage und dergleichen –, deren sich jeder von Anfang an schuldig bekennen mußte. Das Geständnis war eine Formalität, wenn auch die Folterung echt war. Wie oft er geschlagen worden war, wie lange die Prügeleien fortgesetzt wurden, konnte er sich nicht erinnern. Immer fielen fünf oder sechs Männer in schwarzen Uniformen gleichzeitig über ihn her. Manchmal bearbeiteten sie ihn mit den Fäusten, manchmal mit Gummiknüppeln, dann wieder mit Stahlruten oder mit den Stiefeln. Es gab Zeiten, wo er sich auf dem Boden herumwälzte, schamlos wie ein Tier, seinen Körper hierhin und dorthin duckte in einem endlosen, hoffnungslosen Bemühen, den Fußtritten auszuweichen, und damit nur mehr und immer noch mehr Fußtritte in seine Rippen, seinen Bauch, auf seine Ellbogen, gegen seine Schienbeine, in seine Hoden, auf sein Steißbein herausforderte. Es gab Zeiten, in denen es weiter und immer weiter ging, bis ihm nicht das grausam, verrucht und unverzeihlich erschien, daß die Wachen nicht abließen, ihn zu schlagen, sondern daß er sich nicht dazu zwingen konnte, das Bewußtsein zu verlieren. Es gab Zeiten, in denen ihn der Mut so im Stich ließ, daß er sogar schon vor Beginn der Prügelei um Gnade zu schreien anfing, in denen allein schon der Anblick einer zum Schlag erhobenen Faust genügte, um ihn ein Geständnis wirklicher und erfundener Verbrechen hervorsprudeln zu lassen. Es gab andere Zeiten, wo er sich vornahm, nichts zu gestehen, so daß jedes Wort zwischen Schmerzgekeuche aus ihm herausgepreßt werden mußte, und es gab Zeiten, wo er jämmerlich einen Kompromiß zu schließen versuchte, in dem er zu sich selbst sagte: »Ich will gestehen, aber noch nicht gleich.
    Ich muß so lange standhalten, bis der Schmerz unerträglich wird. Noch drei Schläge, noch zwei Schläge, und dann sage ich ihnen, was sie wollen.« Manchmal wurde er geschlagen, bis er kaum mehr stehen konnte, dann wie ein Sack Kartoffeln auf den Steinboden einer Zelle geworfen und ein paar Stunden in Ruhe gelassen, um sich wieder zu erholen, und dann herausgeführt und erneut geschlagen. Es gab auch längere Erholungspausen. Er entsann sich ihrer undeutlich, denn er hatte sie meist schlafend oder in stumpfer Betäubung verbracht. Er erinnerte sich an eine Zelle mit einer Pritsche, einem aus der Wand herausragenden Gestell und einer blechernen Waschschüssel, ferner an Mahlzeiten, bestehend aus warmer Suppe, Brot und manchmal Kaffee. Er erinnerte sich eines mürrischen Friseurs, der ihm das Kinn zu schaben und die Haare zu schneiden kam, und geschäftsmäßiger, unbarmherziger Männer in weißen Mänteln, die ihm den Puls fühlten, das Funktionieren seiner Reflexe prüften, ihm die Augenlider hochhoben, ihn mit sachlichen Fingern nach einem gebrochenen Knochen abtasteten und ihm Injektionsnadeln in den Arm stießen, damit er schlafen konnte.
    Die Prügeleien wurden weniger häufig angewandt, in der Hauptsache als Drohung, als ein Schreckmittel, dem er in jedem Augenblick wieder ausgeliefert werden konnte, wenn seine Antworten unbefriedigend ausfielen. Die ihn Verhörenden waren jetzt keine Rohlinge in schwarzer Uniform, sondern Partei-
    Intellektuelle, kleine rundliche Männer mit raschen Bewegungen und blitzenden Brillengläsern, die ihn, einander ablösend, in Zeitspannen von – wie er glaubte, denn sicher konnte er es nicht sagen – zehn oder zwölf Stunden unaufhörlich bearbeiteten. Diese ihn jetzt Vernehmenden sorgten dafür, daß er ständig unter der Betäubung eines leisen Schmerzes stand, aber in der Hauptsache verließen sie sich nicht auf

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