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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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den Fingerspitzen. Es war ein viereckig zusammengefaltetes Stückchen Papier.
    Während er vor dem Becken stand, gelang es ihm nach einigem Fingern, den Zettel auseinander zufalten.
    Offenbar stand eine Nachricht darauf. Einen Augenblick fühlte er sich versucht, ihn in eine der Kabinen mitzunehmen und auf der Stelle zu lesen. Doch das wäre eine unverzeihliche Torheit gewesen, wie er wohl wußte. Es gab kaum einen anderen Ort, an dem man so sicher sein konnte, dauernd durch den Televisor überwacht zu werden.
    Er ging an seinen Arbeitsplatz in seine Nische zurück, warf das Zettelchen nachlässig unter die anderen auf dem Schreibtisch liegenden Papiere, setzte sich die Brille auf und zog den Sprechschreiber zu sich heran.
    »Fünf Minuten«, sagte er zu sich selbst; »mindestens fünf Minuten.« Sein Herz klopfte erschreckend heftig in seiner Brust. Zum Glück war die Arbeit, mit der er gerade beschäftigt war, eine reine Routinesache, die Richtigstellung einer langen Zahlenliste, und erforderte keine angestrengte Aufmerksamkeit.
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    George Orwell – 1984
    Was immer auf dem Papier geschrieben stand, mußte eine Art politische Bedeutung haben. Soweit er es beurteilen konnte, gab es zwei Möglichkeiten. Die eine, weit wahrscheinlichere, bestand darin, daß das Mädchen, ganz wie er gefürchtet hatte, eine Agentin der Gedankenpolizei war. Er wußte zwar nicht, warum die Gedankenpolizei gerade diesen Weg wählen sollte, einem ihre Weisungen zugehen zu lassen, aber vielleicht hatte sie ihre Gründe dafür. Auf dem Zettelchen konnte eine Drohung stehen, eine Vorladung, die Aufforderung, Selbstmord zu begehen, es konnte auch irgendeine Falle sein. Aber es gab eine andere, noch tollere Möglichkeit, und sie ließ sich nicht verscheuchen, wenn er auch vergebens versuchte, sie aus seinen Gedanken zu verbannen. Daß nämlich die Nachricht überhaupt nicht von der Gedankenpolizei kam, sondern von einer Art Untergrundbewegung. Vielleicht gab es »Die Brüderschaft« doch! Vielleicht gehörte das Mädchen ihr an! Kein Zweifel, der Gedanke war absurd, aber er war ihm sofort durch den Kopf geschossen, als er das Stückchen Papier in seiner Hand spürte. Erst ein paar Minuten später war ihm die andere, wahrscheinlichere Möglichkeit in den Sinn gekommen. Und sogar jetzt noch – wenn ihm auch sein Verstand sagte, daß die Botschaft vermutlich den Tod bedeutete –, sogar jetzt konnte er noch immer nicht daran glauben, und er klammerte sich an eine unvernünftige Hoffnung. Sein Herz klopfte, und nur mühsam konnte er ein Zittern seiner Stimme vermeiden, während er seine Zahlen in den Sprechschreiber hineinmurmelte.
    Er rollte den erledigten Stoß Papiere zusammen und steckte ihn in die Rohrposttrommel. Acht Minuten waren verstrichen. Er schob die Brille auf der Nase zurecht, seufzte und zog das nächste Bündel Akten zu sich heran, auf dem das Zettelchen lag. Er strich es glatt. In einer großen, unbeholfenen Handschrift stand darauf: Ich liebe Sie.
    Mehrere Sekunden lang war er zu verblüfft, um das belastende Papier in das Gedächtnis-Loch zu werfen.
    Als er es endlich tat, konnte er – obwohl er sehr gut die Gefahr eines zu lebhaft bekundeten Interesses kannte
    – nicht der Versuchung widerstehen, es noch einmal zu lesen, nur um sich zu überzeugen, ob diese Worte wahrhaftig dastünden.
    Den übrigen Vormittag fiel ihm das Arbeiten sehr schwer. Schwieriger noch, als seine Aufmerksamkeit auf eine Reihe langwieriger Arbeiten zu konzentrieren, war die Notwendigkeit, seine Aufregung vor dem Televisor verbergen zu müssen. Ihm war, als brenne ein Feuer in ihm. Das Mittagessen in der heißen, oft überfüllten, lärmenden Kantine war eine Tortur. Er hatte gehofft, während der Mittagspause ein wenig allein zu sein, aber wie es das Unglück wollte, ließ sich der blonde Parsons neben ihm auf einen Stuhl plumpsen, wobei seine scharfe Schweißausdünstung beinahe den metallenen Eintopfgeruch verdrängte. Er schwatzte unaufhörlich von den Vorbereitungen für die Haß-Woche . Er war besonders begeistert über einen zwei Meter breiten Kopf des Großen Bruders aus Papiermaché, der zu der Veranstaltung von dem Späher -Fähnlein seiner Tochter angefertigt wurde. Das Lästige war, daß Winston bei dem Stimmengewirr kaum hören konnte, was Parsons sagte, und ihn dauernd bitten mußte, die eine oder andere seiner belanglosen Bemerkungen zu wiederholen. Nur einmal konnte er einen flüchtigen Blick auf das Mädchen werfen, das am anderen

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