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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Ende des Raumes an einem Tisch mit zwei Kolleginnen saß. Sie schien ihn nicht gesehen zu haben, und er vermied es, nochmals in die gleiche Richtung zu blicken.
    Der Nachmittag war erträglicher. Sofort nach dem Essen traf ein höchst kniffliges Stück Arbeit ein, das mehrere Stunden in Anspruch nahm und es notwendig machte, alles andere beiseite zu legen. Es bestand darin, eine Reihe von zwei Jahre zurückliegenden Produktionsziffern so zu verfälschen, daß ein prominentes Mitglied der Inneren Partei, das gerade in Ungnade gefallen war, dadurch in Mißkredit gebracht wurde. Es war eine Arbeit, in der Winston sich besonderes Geschick erworben hatte, und für über zwei Stunden vermochte er das Mädchen vollständig aus seinem Denken auszuschalten. Dann kehrte die Erinnerung an ihr Gesicht zurück, und mit ihr ein rasendes, schier unerträgliches Verlangen, allein zu sein. Ehe er nicht allein sein konnte, war es unmöglich, über diese neue Wendung der Dinge nachzudenken. Heute war für ihn Pflichtabend im Gemeinschaftshaus. Er schlang in der Kantine eine nach nichts schmeckende Mahlzeit hinunter, eilte dann fort zum Gemeinschaftshaus, nahm an dem feierlichen Unfug einer sogenannten
    »Diskussionsgruppe« teil, spielte zwei Partien Tischtennis, stürzte mehrere Glas Gin hinunter und ließ eine halbe Stunde einen Vortrag über das Thema »Engsoz und seine Beziehungen zum Schachspiel« über sich ergehen. Innerlich wand er sich vor Langeweile, aber zum ersten Male seit einiger Zeit hatte er nicht das Bedürfnis verspürt, den Gemeinschaftsabend zu versäumen. Beim Anblick der drei Worte »Ich liebe Sie« war der Wunsch, am Leben zu bleiben, neu in ihm erwacht, und plötzlich schien es töricht, in Kleinigkeiten sich einer Gefahr auszusetzen. Erst um dreiundzwanzig Uhr, als er daheim war und im Bett lag – in der Dunkelheit, in der man sogar vor dem Televisor sicher war, solange man sich still verhielt –, konnte er ungestört nachdenken.
    Es galt ein technisches Problem zu lösen: wie konnte er wohl mit dem Mädchen in Verbindung treten und ein Stelldichein mit ihr verabreden? Die Möglichkeit, daß sie ihm nur eine Falle stellen wollte, zog er 49
    George Orwell – 1984
    nicht mehr in Betracht. Er wußte auf Grund ihrer unverkennbaren Aufregung, als sie ihm den Zettel ausgehändigt hatte, daß dem nicht so war. Offensichtlich war sie vor Angst völlig durcheinander gewesen, was durchaus erklärlich war. Auch kam ihm nicht einen Augenblick lang in den Sinn, ihre Annäherungsversuche zurückzuweisen. Erst vor fünf Nächten wollte er ihr in Gedanken mit einem Pflasterstein den Schädel einschlagen; aber das hatte nichts zu bedeuten. Er dachte an ihren nackten, jugendlichen Körper, wie er ihn in seinem Traum gesehen hatte. Er hatte geglaubt, sie sei wie alle die anderen, den Kopf vollgestopft mit Lügen und Haß, der Leib ein einziger Eisklumpen. Eine Art Fieber befiel ihn bei dem Gedanken, er könnte sie verlieren, der junge weiße Leib könnte sich ihm entziehen. Mehr als alles andere fürchtete er, sie könnte es sich noch einmal anders überlegen, wenn er nicht rasch mit ihr in Beziehung trat. Aber die technische Schwierigkeit, sie zu treffen, war enorm. Es war, als wollte man beim Schachspiel einen Zug machen, nachdem man bereits matt gesetzt worden war. Wohin man auch den Blick wandte, wurde man vom Televisor beobachtet. Tatsächlich waren ihm schon in den ersten fünf Minuten, nachdem er den Zettel gelesen hatte, alle Möglichkeiten, sich mit ihr in Verbindung zu setzen, durch den Kopf geschossen. Jetzt aber, da er zum Nachdenken Muße hatte, prüfte er sie noch einmal eine nach der anderen, als lege er sich eine Reihe von Instrumenten zurecht.
    Offensichtlich konnte eine Verständigung, wie sie heute morgen stattgefunden hatte, nicht wiederholt werden. Hätte sie in der Registraturabteilung gearbeitet, so wäre es verhältnismäßig leicht gewesen; aber er hatte nur eine sehr ungenaue Vorstellung, in welchem Teil des riesigen Gebäudes die Literaturabteilung lag, und erst recht keinen Vorwand, dorthin zu gehen. Hätte er gewußt, wo sie wohnte und um welche Zeit sie ihren Arbeitsplatz verließ, dann hätte er es einrichten können, ihr irgendwo auf dem Heimweg zu begegnen.
    Aber der Versuch, ihr vom Büro bis zum Haus nachzugehen, war nicht ratsam, denn er hätte ein Herumstehen vor dem Ministerium mit sich gebracht, und das wäre vermutlich aufgefallen. Einen Brief durch die Post zu schicken, kam auch nicht

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