1986 Das Gift (SM)
Er arbeitet schon seit zwei Monaten dran, und die Investition ist sechsstellig.«
»Por dios!«
»Er sagte auch: ›Wenn ich was mache, dann nur ein Ding, das noch nicht da war.‹«
»Und wie ist er auf uns gekommen?«
»Er hat unsere Kritiken gelesen, und die haben ihm, obwohl es schiefgegangen ist, gefallen. Er sagte, die Idee war gut, und auch das Konzept fand er im großen und ganzen akzeptabel; wir hätten nur an den Einzelheiten noch ein bißchen feilen müssen.«
»Was meinst du, wieviel bringt die Sache ein?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nur, danach haben wir ausgesorgt. Wirklich, seine Theorie hat was für sich. Wenn du jedes Jahr ein Ding drehst, bist und bleibst du ein Ganove. Machst du aber einmal was ganz Großes, kannst du für immer auf die andere Seite überwechseln. Dann spielt es keine Rolle mehr, woher dein Geld stammt. Hauptsache, du hast es.«
»Wann soll’s denn eigentlich losgehen?«
»Schon ziemlich bald nach der Entlassung, glaube ich.«
Die Gäste kamen pünktlich. Gratulation, Umarmung undaugenzwinkernd – Glückwünsche für den nächsten Lebensabschnitt.
Sie setzten sich, schenkten Bier ein, aßen und tranken. Dann kamen die Karten auf den Tisch, und nachdem der Aufseher sich zum erstenmal vom harmlosen Ablauf der Feier überzeugt hatte, legte Georg eine Schallplatte auf. Abgesichert durch Louis Armstrongs Blueberry Hill , begann Leo mit seinen Instruktionen. Er konnte leise sprechen, denn die vier hatten ihre Köpfe dicht zusammengeschoben:
»Solange wir noch hier sind, wird es zu unserem Plan keinen Fetzen Papier geben. Aufbewahrungsort für jede Anweisung, jede Skizze, jede Liste, jeden Termin, jeden Namen, kurz: für alles, was erörtert wird, ist der Kopf, und eher wird der eingebüßt, als daß da was rauskommt. Auch unser vierter Mann«, er nickte in Richtung auf Wobeser, »ist jetzt voll einbezogen. Ein fünfter kommt noch hinzu. Er ist draußen. Ihr werdet ihn bald kennenlernen. Mit ihm sind wir komplett, von ein paar Komparsen hüben wie drüben abgesehen. Wir kommen hier nicht zum selben Termin raus, aber im ganzen vollzieht sich unsere Entlassung in einem Zeitraum von nur einem Monat. Ihr, Georg und Fernando, seid die ersten. Ich hab’ nichts dagegen, wenn ihr zusammenzieht; man weiß sowieso, daß ihr befreundet seid. Aber das erste Treffen zu viert muß verdeckt erfolgen. Wir sehen uns im Harzhotel KREUZECK in Hahnenklee, und zwar am 26. März, abends um acht Uhr. Getrennte Anreise in Pkws. Bevor die Harzroute eingeschlagen wird, muß jeder absolut sicher sein, daß er keine Polizei im Kielwasser hat. Ich weiß nicht, ob überhaupt, und wenn ja, inwieweit sie uns nach der Entlassung unter Kontrolle halten, aber sicher ist sicher! Also gehen wir davon aus, daß sie es tun. Weiter: Eintragung im Hotel auf jeden Fall unter falschem Namen! Ich wiederhole den Termin: 26. März. Fragen dazu?«
Richard Wobeser meldete sich, indem er die Linke mit den Spielkarten anhob.
»Ja?« fragte Leo.
»Geht es vom Harz aus gleich los, oder fahren wir erst noch wieder nach Haus?«
»Wir bleiben danach noch etwa zwei Monate in Deutschland. Ende Mai geht’s nach drüben.«
»Darf man jetzt erfahren, was ›drüben‹ bedeutet?« fragte Richard.
»Geduld! Alles zu seiner Zeit. Erst mal muß ich euch von einem sechsten Beteiligten erzählen, der eigentlich der wichtigste ist, denn ohne ihn läuft die ganze Sache nicht. Er ist kein Partner im üblichen Sinn, kein Wesen aus Fleisch und Blut, dennoch Hauptakteur in unserem Spiel. Allerdings will ich hoffen, daß er nicht zum Einsatz kommt. Wir halten ihn nur bereit. Er ist das Mittel, mit dem wir drohen; er gibt unserer Forderung das nötige Gewicht.«
»Mach es nicht so spannend!« sagte Georg. »Wer ist denn nun dieser komische Partner, der gar keiner ist?«
»Kein er «, antwortete Leo, »sondern ein es . Ein Gift. Dioxin. Ihr habt alle von Seveso gehört, wo das Zeug die ganze Einwohnerschaft verjagt hat. Es ist übrigens falsch, immer nur von dem Dioxin zu reden, wenn es um diese Killersubstanz geht, die die chemische Industrie so nebenher miterzeugt. Es gibt nicht weniger als zweihundertzehn Dioxine, die hundertfünfunddreißig Dibenzofurane eingerechnet, die zu derselben Familie gehören. Die Grundsubstanzen der Dioxine und Furane sind Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Chlor, nichts Aufregendes also, aber – wie meistens in der Chemie – kommt es auf die Kombination an. Die zweihundertzehn Arten …«
»Müssen wir das alles
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