1986 Das Gift (SM)
verstanden sich gut. Äußerlich waren sie ein höchst ungleiches Gespann. Der zweiunddreißigjährige Georg Brüggemann war untersetzt und kompakt, hatte die für den Pykniker typische Gestalt, ohne daß es ihm deshalb an Geschicklichkeit fehlte. Die Haare auf seinem fast kugelrunden Kopf waren blond und strähnig, und die leicht geröteten Pausbacken erinnerten an ein Babygesicht, ebenso seine hellblauen Augen. Ja, die Augen vor allem erweckten den Eindruck von Schutzlosigkeit. Doch der täuschte. Georg Brüggemann war, allerdings nicht immer in löblicher Absicht, couragiert, dazu bärenstark, und wer von seinen Mitgefangenen ihn näher kannte, vermied es, sich mit ihm anzulegen.
Fernando Ortiz war mittelgroß, schlank, nervig. Er hatte den dunklen Teint des Südländers, dunkelbraune Augen und volles schwarzes Haar. Er stammte aus der Nordwestecke der iberischen Halbinsel, aus der Provinz Galicien, und hatte die ersten Jahre seiner Kindheit in Santiago de Compostela verbracht. Dann waren seine Eltern wegen mangelnder Arbeitsmöglichkeiten mit der achtköpfigen Familie nach Deutschland gegangen. Er war siebenundzwanzig Jahre alt und sprach das Deutsche akzentfrei.
Georg und Fernando kannten sich schon lange, waren befreundet, und es war ein gemeinsam begangenes Delikt, dessentwegen sie einsaßen. Sie hatten zum Schein eine Maklerfirma gegründet, sich in Spanien einige Helfer verschafft, hatten für ein wunderschönes galicisches Tal Kaufinteressenten gewonnen, neunzig an der Zahl, sie in zwei Busse geladen und in Fernandos Heimat transportiert. Nach der Besichtigung des in der Tat landschaftlich besonders reizvollen Terrains hatten siebenundzwanzig Teilnehmer sich zum Kauf einer Parzelle entschlossen und den Preis an Ort und Stelle entrichtet, die meisten per Scheck. So plump dieser Schwindel auch angelegt war, er hatte zunächst vor allem deshalb Erfog, weil die in Santiago de Compostela gedungenen Helfer mit einem ganzen Sortiment vertrauenerweckender Requisiten ausgestattet worden waren: mit gestohlenen und veränderten Grundbuchblättern, gefälschten Vertragsurkunden, behördlichen Stempeln, sogar mit einer Polizei-Uniform, in der einer der Komplicen sich präsentierte. So hatte der ganze Vorgang – das Eintragen in lange Register, das Ausfertigen von Bescheinigungen, das fleißige Stempeln – den Opfern die Abwicklung amtlicher Verrichtungen vorgegaukelt, und der falsche, zum Schein zwischen dem angemieteten Gasthaus und dem Bürgermeisteramt hin und her pendelnde Polizist war ihnen als ein mit wichtigen Botengängen betrauter Gesetzesvertreter erschienen.
Trotz der kostspieligen Inszenierung wäre die Beute lohnend gewesen, für jeden der beiden etwa achtzigtausend Mark, aber sie kamen nicht in den Genuß des Geldes, denn zwei der Käufer wollten sofort mit dem Bauen beginnen und fuhren gar nicht erst nach Deutschland zurück. Ihr Gespräch mit einem spanischen Architekten brachte dann zutage, daß das schöne galicische Tal weder parzelliert noch für eine Erschließung vorgesehen war und seit hundertfünfzig Jahren der Kirche gehörte.
Georg und Fernando, die gleich nach ihrer Rückkehr die zahlreichen Schecks bei der Bank eingereicht hatten und nur noch darauf warteten, daß sie das Geld abheben konnten, wurden verhaftet, des Betruges angeklagt und verurteilt. Über einige Wochen hin war nicht klar gewesen, ob ihr Fall in die deutsche oder in die spanische Gerichtsbarkeit gehörte, doch da der Betrug seinen Ausgang in der Bundesrepublik genommen hatte und die Geschädigten ausnahmslos Bundesbürger waren, kam die deutsche Seite zum Zuge.
Wie Leo Schweikert und Richard Wobeser, so hatten auch Georg und Fernando ihre Haftzeit bald hinter sich. Ja, sie waren sogar die ersten, die das Gefängnistor in Richtung Freiheit passieren würden, hatten nur noch ganze acht Tage abzusitzen, und so galt das Geburtstagsfest gleichzeitig als Abschiedsfeier. Aus diesem Grunde hatten die Aufseher die Speisen und Getränke durchgehen lassen.
Georg nahm eine Bierflasche vom Fenstersims. »Ist kalt genug«, sagte er, und Fernando antwortete: »Hauptsache, von dem Zeug ist genug da! Ein paar Kurze wären mir allerdings lieber. Monika hätte dir doch eigentlich mal wieder ’ne Flasche Korn schicken können.«
»Die schickt mir gar nichts mehr. Mit der ist es aus.« »Seit wann denn das?«
»Schon seit zwei Wochen. Die hat mich einfach abgehängt.« »Das find’ ich aber unfein, wenn einer sitzt und nichts dagegen
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