1986 Das Gift (SM)
sagte, und vor Schreck fiel er in seine Muttersprache zurück: »Madre mía!«
Und Georg meinte: »Hab’ zwar mit einem irren Haufen Kies gerechnet, nach allem, was du bis jetzt angedeutet hast, aber … fünfzig Millionen! Und dann noch Dollar! Zehn Millionen pro Nase! Sag mal, ist das nicht utopisch?«
Bevor Leo zu einer Antwort kam, sagte Richard: »In so einer Größenordnung kann ich überhaupt nicht rechnen! Du hattest recht, als du meintest, ich würde vom Hocker kippen. Ich sitze zwar noch, aber innerlich oder symbolisch, oder wie soll ich mich da ausdrücken, bin ich längst gekippt.«
»Es ist nicht utopisch«, sagte Leo. »Natürlich werden sie versuchen, die Summe herunterzuhandeln, aber auf mehr als zwanzig Prozent Reduzierung würden wir uns nicht einlassen, und dann blieben immer noch 40 Millionen Dollar. Allerdings, um falsche Hoffnungen von vornherein auszuschließen: Die Summe geht nicht durch fünf! Der Verteilerschlüssel ist ein anderer, und das müßt ihr einsehen. In keinem vernünftigen Wirtschaftsunternehmen der Welt verdient der Boß das gleiche wie seine Leute. Wäre ja auch ungerecht. Gehen wir mal ruhig von fünfzig Millionen Dollar aus! Davon rechnen wir rund fünfundzwanzig Prozent fürs Waschen ab. Es ist ja heißes Geld, und wir tauschen es in Panama um. Bleiben also siebenunddreißigeinhalb Millionen. Davon kriegt ihr jeder fünf, und den Rest teile ich mit dem Mann, der drüben alles vorbereitet. Denn er und ich machen die Planung, wir investieren, und ich leite das Unternehmen. Folglich sind unsere Anteile größer. Aber auch mit fünf Millionen Dollar seid ihr fein raus. Ihr könnt in Saus und Braus leben, und das allein von den Zinsen. Klar?«
Alle drei nickten. Leo stand wieder auf, ging zur Tür, wies die anderen an, sich leise zu verhalten, lauschte, hörte nichts, kehrte an seinen Platz zurück und erklärte: »Wär’ nicht gut, wenn grad jetzt einer durchs Loch linsen würde. Ihr seid nämlich so blaß um die Nase, als hätte man euch mitgeteilt, ihr müßtet noch mindestens zwanzig Jahre sitzen. Am besten, wir stoßen erst mal an! Also: Auf die bahía von … stopp! Der Name der Stadt darf von nun an nicht mehr fallen! Wenn der Coup gelaufen ist und in allen Zeitungen breitgetreten wird, würde man sich womöglich daran erinnern, daß hier ein paar Figuren kurz vor ihrer Entlassung mehrmals diese exotische Vokabel im Mund geführt haben. Das Projekt kriegt jetzt einen Namen. Mister Di! Und das ist nicht etwa Prinz Charles, sondern unser Freund und Partner, das Dioxin. Trinken wir also auf Mister Di!«
Sie nahmen ihre Gläser auf, schlugen sie gegeneinander, und kein noch so reiner kristallener Klang hätte sie fröhlicher stimmen können als dieser harte Zusammenprall von dickwandigem Glas.
Natürlich kamen nun Fragen auf. Die magische Zahl von fünfzig Millionen Dollar würde ihr Leben verändern, aber nicht in der Weise, wie jeder Lotto-König sie in seinem Konzept hat. Nicht der neue AUDI und der Pelz für die Ehefrau. Auch nicht die lang ersehnte Weltreise. Die machten sie ja schon vorher. Nicht der eigene Betrieb mit drei oder vier Angestellten. Und nicht das Einfamilienhaus am Stadtrand mit ThermopaneScheiben und Einliegerwohnung und Frühstücksterrasse und Garten und ganz unterkellert. Nein, so nicht! Dies war eine ganz andere Dimension. Der Sommerpalast an der Côte d’Azur und die Winterresidenz in Paris. ROLLS-ROYCE oder BENTLEY. Oder besser noch: ROLLS-ROYCE und BENTLEY. Die Motoryacht; vielleicht so ein Ding, wie sie es drüben benötigten. Und das Rennpferd. Oder lieber gleich einen ganzen Stall. Und mindestens einen Leibwächter und dazu natürlich einen Haufen normales Personal. Ja, eine Ahnung von dieser ganz anderen Größenordnung hatten alle drei verspürt, und sie hatte ihnen wohl auch für einen Moment die Balance geraubt, doch nun kehrten sie zurück in ihre Zelle und an ihren Tisch mit den derben Biergläsern. Und kamen zu den Fragen, den kleinen und großen, die es zu beantworten galt.
Als erster sprach wieder Fernando, zunächst zögernd, doch dann mit mehr und mehr Nachdruck: »Sag mal … die Bucht … ich meine, der schöne Strand und die vielen Menschen, du hast gesagt, eine Million Einwohner … und dazu kommen noch die Hotelgäste, also die Stadt, die ganze Stadt … was passiert damit, wenn die Leute nun nicht bezahlen wollen und wir … Mister Di zum Einsatz bringen müssen? Willst du sagen, daß dann alles kaputtgeht, daß Wasser und
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