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1986 Das Gift (SM)

1986 Das Gift (SM)

Titel: 1986 Das Gift (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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tun kann.«
    »Ach, weißt du, mir paßt das ganz gut, grad jetzt, wo wir das große Ding vor uns haben. Ich hätte ihr ja erzählen müssen, daß ich für ’ne Weile verreise, und dann hätte sie mich mit ihren Fragen gelöchert oder vielleicht sogar darauf bestanden, mitzufahren. Dann wär’s wahrscheinlich sowieso zum Bruch gekommen. Stell dir mal vor, ich sag’ zu Leo, meine Braut kommt mit! Der würde mich wie ’ne heiße Kartoffel fallenlassen.«
    Fernando holte ein paar Papierschlangen aus der Hosentasche und fing an, sie durch die Zelle zu spannen. »Ist schon was Tolles«, sagte er, »die Aussicht, reich zu werden. Wenn du wüßtest, wie es bei uns zu Hause in Galicien aussah! Es fehlte an allen Ecken. Mit sechs Jahren kriegte ich zum ersten Mal ein Paar Schuhe, die neu waren. Bis dahin waren es immer nur die alten von meinen Brüdern. Und wie oft hab’ ich abends im Bett Hunger gehabt! Manchmal bin ich aufgestanden und hab’ in der Küche nach Brot gesucht, und wenn mein Vater mich dabei erwischte, war es aus. Kannst du dir so was vorstellen: Mein Vater war ein richtiger Tyrann und dabei bettelarm! Das ist das Allerletzte, arm sein und sich aufführen wie ein Tyrann. Sogar meine Mutter hatte immer Angst vor ihm. Hat sie noch heute. Wie war es denn bei dir zu Haus?«
    »Ach, eigentlich konnte man es da aushalten. Bloß meine Mutter, die hatte ’ne Macke.«
    »Was ist denn das?« 
»Na, die tickte nicht richtig. Sie glaubte, sie wäre ’ne Dame, und hackte dauernd auf meinem Vater rum, weil er es nicht schaffte, das Niveau ein bißchen zu liften. Er war ’ne einfache, ehrliche Haut, und wenn wir Besuch hatten und meine Mutter mit ihren blöden Sprüchen anfing, also, daß sie doch eigentlich was Besseres wäre und so, dann ging er aus dem Zimmer. Liebe? Nee, die war nicht. Ich bin mit sechzehn aus’m Haus. Du weißt ja, ich hab’ ’ne Schlosserlehre gemacht und dann später auf ’ner Hamburger Werft gearbeitet, bis die keine Aufträge mehr reinkriegte. Also ging ich stempeln. Davon konnte ich grad mein Zimmer in Altona bezahlen und mich so eben über Wasser halten. Aber einmal, da war ein Glückstag. Da stand plötzlich mein Vater in der Tür. Und weißt du, was er machte? Er kniete sich hin und fing an, mein Zimmer auszulegen. Und weißt du, womit? Mit lauter Zwanzigmarkscheinen. Einen neben den anderen, und er hörte und hörte nicht auf, griff immer noch mal in seine Taschen und holte einen neuen Packen raus, bis mein halber Fußboden diese grüne Auslegware hatte. Siebzehntausend Mark.«
    Fernando hatte mit wachsendem Interesse zugehört. Jetzt stand er da, blaue und gelbe und rote Papierstreifen in der Hand und über der Schulter, und vergaß, sie aufzuhängen. »Siebzehntausend?«
    »Ja. Er war Angestellter in unserem Rathaus, genauer gesagt, ein besserer Bote. Aber die hatten sich jahrelang bei seiner Besoldung vertan, und so kam es zu dieser WahnsinnsNachzahlung. Und das schönste: Meine Mutter kriegte es nicht mit! Ich glaube, es war das erste Mal, daß mein Vater Geld in den Fingern hatte, von dem sie nichts wußte. Und dann setzt er sich doch glatt in die Bahn und fährt zu mir! Zu Hause hatte er erzählt, er müßte für drei Tage zu einem Computer-Schnellkurs nach Hamburg, weil sie im Rathaus ’ne neue Anlage gekriegt hätten. Na, und dann haben wir einen draufgemacht! Vater und Sohn auf Sankt Pauli! Mensch, ich hab’s dem Alten gegönnt, mal mit zwei knackigen Bienen am Tisch zu sitzen und den Big Spender zu spielen! Hat er auch ganz gut hingekriegt. Nicht gerade stilvoll, aber mit Herz. Mindestens ein Dutzend grüne Lappen hat er den beiden in den Ausschnitt geschoben.«
    Fernando lachte. »Mensch, ein paar Monate weiter, und wir machen das auch!« Er setzte seine Arbeit fort und wickelte sogar um die Gitterstäbe eine Papierschlange. »Du kennst Leo doch näher! Was, glaubst du, wird er uns erzählen?«
    »Weiß ich nicht, aber mit Sicherheit ’ne Geschichte, die vorn und hinten stimmt. Wenn Leo was anpackt, ist das sozusagen wissenschaftlich untermauert. Kein simpler Bruch mit ’ner läppischen Tageskasse oder ein paar Lohntüten als Beute, nee, bei ihm gibt’s nur großes Kaliber, sagen wir mal: vom Londoner Postraub an aufwärts.«
    »Ich dachte, der sitzt bloß wegen ’ner Panscherei mit Chemikalien.«
»Ja. Man hat ihn reingelegt. Aber er ist empfindlich und schlägt zurück. Er hat zu mir gesagt: ›Lieber einmal ein großes Ding drehen als zehnmal ein kleines.‹

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