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1986 Das Gift (SM)

1986 Das Gift (SM)

Titel: 1986 Das Gift (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Luft und Land verseucht werden und die Menschen sterben müssen? Heißt es, daß wir dann die ganze Gegend und ihre Bewohner auf dem Gewissen haben?«
»Weißt du«, sagte Leo, »es gehört nun mal zu den Spielregeln der Erpressung, daß man nur mit Hilfe einer realen Gefahr zum Zuge kommt. Jeder Kidnapper ist nur deshalb so stark, weil es ihm gelungen ist, sich zum Herrn über Leben und Tod seines Opfers zu machen. Meine Antwort also: Ja!« Er verhielt kurz, bedachte jeden der drei mit einem raschen Blick, fuhr dann fort: »Wenn sie nicht spuren, ist es für sie das Ende. Zwar werden nicht alle gleich ins Gras beißen, aber ihr Paradies ist verpestet. Die Strände sind auf Jahre hin unbenutzbar. Die schwangeren Frauen müssen damit rechnen, daß sie Mißgeburten zur Welt bringen, und der Tourismus ist natürlich tot, absolut tot. Das alles ist unser Trumpf. Wenn die Hoteliers die Katastrophe vielleicht auch überleben, weil sie ins nächste Flugzeug springen, so ist doch ihre berufliche Existenz mit Sicherheit vernichtet. Ich will es mal auf die kürzeste Formel bringen: Je größer die Bedrohung, desto größer unsere Chance.«
»Aber sag mal …«, Richards Stimme war belegt; er räusperte sich mehrmals und fuhr dann fort: »Seveso, das war doch damals, ich glaube 1976, ein weltweiter Skandal mit einem Riesenrummel in Presse und Fernsehen!«
Leo nickte. »Richtig. Den meisten Menschen wurde das Dioxin erst dadurch bekannt.«
»Und wenn es«, fragte Richard, »nun also wieder das Dioxin sein wird, besteht dann nicht die Gefahr, daß es noch mal so einen Wirbel gibt? Mit Schlagzeilen und TV-Reportagen im Nacken hab’ ich noch nie gearbeitet, und ich schätze«, er sah Georg und Fernando an, »ihr auch nicht.«
Leo griff über den Tisch und packte seinen Arm. »Junge, so liegen die Dinge nun mal! Entweder unsere Sache ist groß, und dann steigen die Medien voll ein, oder wir drehen ein schäbiges, kleines Ding, und die Berichterstattung bleibt auf Provinzniveau; aber die Beute dann eben auch.«
»Ich hab’ mal ein Foto gesehen«, sagte Fernando, »ich glaub’, es war ein Kind aus Vietnam. Da war die Nase so groß wie ein Kürbis oder jedenfalls so groß wie der ganze übrige Kopf. Das Bild vergesse ich nie. Das war nichts Menschliches mehr.«
»Ja, Vietnam«, sagte Leo. »Da haben die Amerikaner das dioxinhaltige Entlaubungsmittel Agent Orange benutzt. Untersuchungen bei einigen der GIs, die da im Einsatz waren, und auch bei einem Teil der einheimischen Bevölkerung ergaben, daß der Kontakt mit dem Gift zu Veränderungen im Erbgut und dementsprechend zu Mißbildungen beim Nachwuchs geführt hat. Und ein Stadtteil von Hamburg, in dem man TCDD – das ist das Kürzel für das Teufelszeug – als Bestandteil von Industrieabfällen gefunden hat, geriet in die Schlagzeilen, weil ein Klinikarzt aussagte, er habe im Verlauf mehrerer Jahre acht Fälle von Holopros-Enzephalie beobachtet. Das ist eine sonst nur äußerst selten auftretende Mißbildung des Gehirns bei Neugeborenen. Die Häufigkeit dieses Defektes liegt bei 1:35000, war aber in dem Hamburger Bezirk, jedenfalls laut Presse, auf das Vierzehnfache angestiegen. Nachforschungen sollen ergeben haben, daß die betroffenen Eltern zumindest zeitweilig in der Nähe der gelagerten Dioxin-Abfälle gewohnt hatten. Bilder wie deins, Fernando, kenne ich auch. Die kommen fast alle aus Vietnam. Wenn man sich diese Kinder ansieht … na, dagegen ist ’ne Horde Zombies eine anmutige Engelschar.
Natürlich treten die Anomalien in unterschiedlicher Stärke auf. In besonders schweren Fällen haben die Kleinen statt des Gehirns eine Wasserblase und mitten im Gesicht ein Zyklopenauge oder einen Rüsselstumpf.«
»Und das alles«, warf Richard entsetzt ein, »geht auf unser Konto?«
»Dazu wird es ja nicht kommen«, antwortete Leo, »denn keiner, der auch nur die geringste Chance hat, sich davon freizukaufen, läßt sie ungenutzt.«
»Aber wenn du dich irrst?« beharrte Richard. »Die könnten sich doch zum Beispiel auf den Standpunkt stellen: So was führt kein Mensch, der bei Vernunft ist, mit Absicht herbei! Also zahlen wir nicht!«
»Erstens wissen sie ja nicht, ob wir bei Vernunft sind. Brauchst bloß den Fernseher einzuschalten oder die Zeitung aufzuschlagen, um zu erfahren, wieviel Verrückte es auf der Welt gibt, die noch als normal durchgehen. Wenn du dir nur mal vor Augen führst, daß die Welt in zwei Lager gespalten ist und beide Seiten Hunderte von Milliarden ausgeben

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