1986 Das Gift (SM)
unbedingt wissen?« unterbrach ihn Georg. »Wenn ich vorm Fernseher sitze, frag’ ich mich doch auch nicht, wie so ein Kasten von innen aussieht.«
»Da wir mit dem Dioxin, sagen wir mal, ziemlich intim umgehen werden, solltet ihr durchaus wissen, wie es beschaffen ist! Also: Die zweihundertzehn Arten unterscheiden sich nur durch die Anzahl der an den Kohlenstoff gebundenen ChlorAtome. Einige Kombinationen sind harmlos, andere dagegen, wie eben das Seveso-Gift, richten schon in winzigen Mengen verheerende Schäden an. Sie können zum Beispiel Akne erzeugen und Krebs, und sie können Mißgeburten verursachen und sogar zum Tode führen. Soviel vorerst über unseren sechsten Partner. Zu den Vorbereitungen wird es gehören, ihn auszuwählen, zu erwerben, zu verpacken und nach drüben zu verfrachten. Ihn zu bekommen, ist für mich kein großes Problem, denn ich habe jahrelang mit solchen Stoffen gearbeitet und kenne die Plätze, an denen sie zu holen sind. Ihr ahnt gar nicht, wie schlampig es auf einigen zugeht! Man hat zwar Gesetze verabschiedet, die die Beseitigung von Giftmüll regeln sollen, aber sie erfolgt oft genug nur auf dem Papier. Es gibt Tausende von sogenannten Altablagerungsplätzen, und jährlich werden – teils per Schiene, teils per Straße, teils auf dem Wasser – mehr als dreihundert Millionen Tonnen von Stoffen durch die Bundesrepublik transportiert, die entweder Gift enthalten oder radioaktiv sind oder explodieren können. Die Transportwege solcher Mengen kann man gar nicht bis ins letzte kontrollieren. Auf einer Kippe gab’s mal einen grotesken Fall, und zwar grad zu der Zeit, als in ganz Europa nach den verschwundenen Seveso-Fässern gesucht wurde. Da machten zwei Reporter ein veso-Fässern gesucht wurde. Da machten zwei Reporter ein Liter-Fässer mit der Aufschrift ›Dioxin‹ auf einen Laster und deckten sie mit ein paar Kartons zu. Dann fuhren sie damit zur Deponie und gaben an, sie hätten Sperrmüll auf dem Wagen. Niemand kontrollierte sie. Zum Preis von neunzehn Mark durften sie ihre Attrappen abladen. Also, an mein Dioxin komme ich schon heran. Aber weiter! Das Verladen und Verschiffen unter Verwendung falscher Konnossemente geht auch in Ordnung.«
»Und das Ausladen?« fragte Fernando.
»Drüben, wo wir das Zeug verwenden wollen, wird es keine Schwierigkeiten geben, denn unsere Fässer dürften nicht die ersten sein, die den Zoll ungeprüft passieren. Das ist nur eine Frage des Geldes. So, und was ist jetzt ›drüben‹?« Er machte eine Pause, stand auf, holte eine Flasche Bier, öffnete sie, schenkte sich ein und nahm einen Schluck.
»Ja, drüben«, sagte er, setzte Glas und Flasche auf dem Tisch ab und fuhr fort: »Stellt euch vor: die Tropen, eine paradiesische Bucht, Längsausdehnung etwa sechs Kilometer. An ihrem Ufer eine Stadt mit fast einer Million Einwohner und einem halben Tausend Hotels, rund zwanzig Badestränden und einer ganzjährigen Saison. Ich rede von Acapulco, dem Platz also, an dem US-Bürger, Kanadier und sogar Europäer Ferien machen und den Dollar rollen lassen. Wir fahren, wenn wir das Dioxin nach drüben geschafft und an verschiedenen Plätzen der Stadt eingegraben haben, in die Bucht ein und gehen da vor Anker. Unsere Giftfässer sind außen mit Sprengladungen versehen, die wir zu jeder Zeit zünden können. Das heißt aber nicht, daß wir das Dioxin zur Explosion bringen, denn dann würde es verbrennen. Unser TNT ist nur der Büchsenöffner, der das Faß zerreißt, damit das Dioxin sich verbreitet. Dafür, daß das nicht geschieht, müssen die Leute bezahlen. Nicht das Fußvolk, die Gäste ebensowenig, wohl aber diejenigen, die mit den Gästen ihr Geschäft machen, also die Hoteliers. Es gibt da Hotels aller Kategorien, und die kleinen unter ihnen sind natürlich keine Goldgruben. Aber es gibt eben auch die weltweit operierenden Hotelketten.« Erst jetzt setzte er sich wieder hin. »Es ist nicht unsere Aufgabe, den Leuten zu sagen, wie sie die Last aufzuteilen haben; das müssen sie schon unter sich ausmachen. Wir sind nur zuständig für das Ganze, also für die Schutzgebühr insgesamt, und die beläuft sich auf …«, noch einmal machte er eine Pause, und dann flüsterte er die Zahl über den Tisch, sprach aber trotzdem so deutlich, daß die drei keine Mühe hatten, sie zu verstehen, »fünfzig Millionen Dollar! Das sind fünf Prozent dessen, was die Hotels in Acapulco mit ihrer weißen Industrie jährlich umsetzen.«
Fernando war der erste, der etwas
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