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1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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und die Dinge bleiben heil.«
»Und was hat das alles mit Wasloh zu tun?«
»Es macht den Wahnsinn anschaulich. Dort, in Afrika, hat die Natur ein Gift deponiert, und plötzlich fällt ihr ein, es freizusetzen. Bei uns hat sie vermutlich kein Gift gelagert, jedenfalls wissen wir von keinem, und was tun wir? Wir Menschen? Wir packen es selbst in die Erde! Was, wenn die Natur es eines Tages freisetzt? Wenn zum Beispiel die Erde sich schüttelt und das Giftgas dann ausströmt?«
»Hier gibt es kein Erdbeben.«
»Weißt du das so genau? In Villach, gerade mal eben fünfhundert Kilometer von uns entfernt, hat ein Beben fünftausend Todesopfer gefordert. Und in Basel, also nur zweihundert Kilometer weit weg, kamen durch ein Beben dreihundert Menschen um. Zugegeben, beide Fälle liegen ein paar Jahrhunderte zurück; aber was heißt das? Nichts! Wenn es irgendwo an unserer Erdoberfläche lange still war, ist das keine Garantie dafür, daß es dort auf alle Zeit still ist. Der Vesuv ist ein Beispiel für diese These und der Nevado del Ruiz in Kolumbien auch.«
»Mein Gott, Frank, du kommst daher mit deiner pauschalen Geographie und versuchst, Gefahren von heute mit uralten Geschichten zu belegen. Willst du etwa den Bewohnern von San Francisco und Tokio, von Managua und Kalkutta sagen, sie sollen ihre Städte verlassen, weil es da vor -zig Jahren mal gebebt hat? Das sind doch ganz naive Vorstellungen!«
»Die Städte, die du da aufzählst, sind keine Giftlager! Und was das Naive betrifft: Den Wahnsinn der Politiker muß man so simpel und so direkt darstellen, wie es nur geht. Denk an die Massenvernichtung der Juden! Fünf bis sechs Millionen Opfer, das war für die meisten von uns über eine lange Zeit hin eine nicht faßbare Zahl, einfach zu abstrakt. Selbst die vielen Dokumentationen über die Konzentrationslager brachten kaum mehr als ein kurzes Erschauern. Aber dann kam der Holocaust-Film, und er schlug ein wie eine Bombe. Warum? Weil da keine monströsen Zahlen und Fakten vorgeführt wurden, sondern richtige Familien! Mit allem, was auch die Familien der Zuschauer hatten. Man warf den Filmemachern das Made in Hollywood vor, aber genau das war’s ja, womit Bestürzung erreicht wurde. Nur dadurch schaffte man es, das verdammte Phlegma der Leute zu knacken. Menschen, die wie alle anderen waren, wurden auf ihrem langen, furchtbaren Weg in die Vernichtung gezeigt. Das packte. Und so, nur so, naiv, konkret, anschaulich, muß man auch das Thema ›Wasloh‹ behandeln. Das ganze Gerede über Vor-, Nach-, Auf- und Abrüstung ist für den Normalbürger zum Fachlatein geworden. Er kann nicht nachvollziehen, was er darüber in den Zeitungen liest. SS-Zwanzig und Cruise Missile , Mehrfachsprengköpfe und bodengestützte Langstreckenraketen, Big-Eye -Granaten und H-Bomben, Soman und Tabun und Sarin, Erntevernichtungsprogramme und weltraumgestützte Antisatellitenwaffen, Erstschlag, Vergeltungsschlag, strategische und konventionelle und binäre Systeme und so weiter und so weiter! Ob du das Fernsehen einschaltest, Radio hörst oder die Zeitung aufschlägst, immer wieder hast du es mit diesem Vokabular zu tun, von dem du nichts verstehst, das dich aber ganz elementar betrifft! Und dann sitzen sie an ihren Stammtischen, die braven Bürger, und reden sich die Köpfe heiß. Da sagt jemand: Das Giftgas muß weg! Sofort heißt es: Das geht nicht wegen des NATO-Statuts und wegen unserer Bündnisverpflichtung. Dann sagt der Jemand: Trotzdem, NATO hin, NATO her, das Zeug muß weg, weil es zu gefährlich ist! Dann heißt es: Aber der WARSCHAUER PAKT hat es auch, und nur durch das Gleichgewicht ist der Frieden zu erhalten! Und so weiter. Jedes Argument für das gehortete Gift hat seine kleine Logik, aber man darf nur auf die große achten, und dazu braucht man eine ungebrochene Naivität. Wenn man die hat, sieht es so aus: Wir sitzen alle in einem Flugzeug. Fliegen fünf- oder auch zehntausend Meter hoch. Jedenfalls sind wir in der Luft. Links und rechts vom Gang sitzen die Passagiere. Die beiden Seiten sind miteinander zerstritten und die Männer im Cockpit entsprechend auch. Sagen wir: über das Flugziel. Immer wieder finden vorn Besprechungen statt, und dabei geht es um die Frage, wie man sich denn nun einig werden könnte. Aber man schafft es nicht. Der Streit geht weiter, spitzt sich sogar zu. Und da kommen nun im Cockpit beide Seiten auf eine geradezu idiotische Idee, die sie auch gleich in die Tat umsetzen. Man landet. Wo, ist egal. Man

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