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1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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landet, um etwas an Bord zu nehmen, womit man, falls der Streit überhand nimmt, die Gemüter rechts wie links in Schach halten will: hundert Handgranaten. Als die an Bord sind, startet man wieder. Und dann verteilt man die Dinger, gibt fünfzig nach rechts und fünfzig nach links. Und fliegt weiter. Wohin, ist schon fast egal, denn jetzt fliegt die Angst mit. Wer wirft die erste Granate? Was heißt überhaupt ›die erste‹? Es kann ja nur eine geworfen werden, und alle an Bord wissen das. Trotzdem glauben die im Cockpit, der Besitz möglichst vieler Sprengladungen verhindere den für alle verhängnisvollen ersten Wurf. Du mußt zugeben, das Vertrauen in diese merkwürdige Kausalität ist doch nun wirklich eine Sache für den Psychiater! Wieso kommen diese Menschen – beschränken wir uns jetzt mal auf die im Cockpit, denn sie sind die Verantwortlichen – wieso kommen sie nicht auf den einzig richtigen Gedanken: daß sie und ihre Passagiere und ihre Maschine nur durch ein Gleichgewicht ganz anderer Art sicher gemacht werden können, nämlich durch eines ohne Handgranaten? Wieso begreifen sie nicht, was man jedem Sechsjährigen mit einfachen Beispielen klarmachen kann? Aber nein, sie begreifen es nicht! Haben sogar ihre zweite idiotische Idee. Sie landen erneut und nehmen noch einmal hundert Handgranaten an Bord, um, wie sie sagen, die beiden Seiten noch sicherer zu machen. Wieder fünfzig nach rechts und fünfzig nach links. Und weiter geht der Flug, der die meisten Passagiere mittlerweile ziemlich nervös macht. Es wird protestiert, aber die im Cockpit hören nicht darauf. Im Gegenteil. Wieder wird gelandet. Wieder hundert. Und dann noch einmal hundert. Und noch einmal. Und immer wieder fünfzig nach rechts und fünfzig nach links. Und noch einmal und noch einmal. Immer mehr. Schließlich fliegt die Maschine mit ein paar tausend Granaten an Bord durch die Luft. Und plötzlich, man glaubt es kaum, hat einer der Männer im Cockpit einen geradezu phantastischen Gedanken. Er schlägt vor, keine weiteren Granaten an Bord zu nehmen! Und eine Stunde später – da hält man doch glatt den Atem an – kommt ein anderer auf einen noch grandioseren Plan und schlägt vor, zu landen und sage und schreibe zwanzig der schon nicht mehr zu zählenden Granaten wieder auszuladen. Jawohl, zwanzig! Jede Seite muß zehn hergeben. Und so wird es gemacht. Man könnte diese Geschichte in diversen delikaten Abstufungen fortsetzen, aber lassen wir das! Statt dessen frage ich dich, Katharina: Gibt es eine andere halbwegs plausible Erklärung für das Verhalten der Männer im Cockpit als die, daß sie alle entweder aus einem Irrenhaus ausgebrochen oder aber infolge einer Kette haarsträubender Zufälle um ihre Einlieferung in ein solches herumgekommen sind? Du brauchst gar nicht zu antworten. Es gibt keine andere Erklärung! Und damit du es nur weißt: Ich steh’ mit meiner Meinung nicht allein. Kein Geringerer als der Physikprofessor Victor Weisskopf, der am ManhattanProjekt beteiligt war, also bei der Entwicklung der ersten Atombomben, glaubt heute ebenfalls, daß künftige Generationen, falls es die überhaupt geben wird, bei der Beurteilung unserer Epoche von einem Fall ›virulenter kollektiver Geisteskrankheit‹ sprechen werden.«
»Mir scheint, du redest längst nicht mehr über Wasloh.«
»Ich rede von der ganzen widerlichen Palette der A-, Bund C-Waffen, und letztere liegen nun mal in unserem Depot. Als die Menschen noch mit Hakenbüchsen gegeneinander kämpften, konnte man natürlich sagen: Die anderen haben zehn, also müssen wir auch mindestens zehn haben! Und wenn dann so ein Ding losging, haben die zwanzig Figuren sich vielleicht gegenseitig umgebracht. Das hat die Welt nicht erschüttert; vermutlich nicht mal das übernächste Dorf. Aber wir haben es leider nicht mehr mit Hakenbüchsen zu tun. Weißt du, was dort …«, er zeigte über die auf der Koppel weidenden Pferde hinweg, »bei Wasloh liegt, bewacht wie Fort Knox oder wie die Bank von England? Da liegen, außer anderen chemischen Kampfstoffen, fünfhundert Tonnen VX! Und weißt du, was VX ist?«
»Du hast es mir mehr als einmal erklärt. Ein Gift.«
»Ja, aber es ist kein Rattengift und auch kein Wildvergrämer, mit dem du die Maulwürfe in deinem Garten vertreibst, sondern ein Giftgas für den Kriegsfall!«
»Keiner wird auf die Idee kommen, es einzusetzen.«
Frank Golombek lachte auf. »Wozu hat man es dann? Man spricht immer vom Gleichgewicht des Schreckens. Was

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