199 - Das Monster aus dem Stein
Die- meiste Zeit schlief er. Er erwachte nur selten. Dennoch kannten die Menschen seinen Namen. Sie erzählten sich schreckliche Geschichten über ihn, haarsträubende Sagen und Legenden.
Caggon war die Verkörperung des Bösen schlechthin. Steinalt sollte er sein. Zur Zeit der Goldsucher sollte er schon furchtbar gewütet haben.
Nach langen Perioden des Schlafes erwachte er ganz plötzlich. Da weichte seine Tarnung auf, und er wuchs daraus empor - groß, kraftstrotzend, angsterweckend.
Keiner wußte, warum es passierte. Waren irgendwelche irdischen Einflüsse oder schwarze Impulse daran schuld?
Caggon wußte selbst dann, wenn er schlief, was in weitem Umkreis vorging. Ganz Kanada war von seinen Spitzeln bevölkert. Er hatte mit ihnen ein dichtes Netz gewoben. Sie waren seine Ohren, seine Augen - und seine Hände.
Nicht alle hatten persönlich Kontakt mit ihm gehabt. Diese »Ehre« war eigentlich nur wenigen zuteil geworden. Sie hatten ihn gefahrlos berühren dürfen, und er hatte bei dieser Gelegenheit von ihnen Besitz ergriffen.
Etwas war von ihm auf sie übergesprungen. Eine Verbindung entstand zwischen ihm und ihnen, und sie blieb auch bestehen, wenn sie viele Meilen von ihm entfernt waren. Doch nicht nur das. Diese Boten des Schreckens waren auch in der Lage, etwas von dem, was sie in sich trugen, an ihre Mitmenschen abzugeben. Dadurch ging die Abhängigkeit auf immer mehr Leute über, und so war Caggon in Montreal, Vancouver und Quebec ebenso vertreten wie in der endlosen Weite der Prärie oder in der einsamen Stille der Rocky Mountains.
Caggons Erwachen ging stets mit einem entsetzlichen Blutrausch einher. Der graue Stein verfärbte sich, nahm an einigen Stellen die Farbe des Fleisches an. An anderen Stellen wuchsen Haare, die sich zu einem Fell verdichteten.
Ein hungriges Knurren drang aus seinem Innern, und in der nächsten Sekunde schoß eine grauenerregende Bestie hoch, die auf den ersten Blick wie ein mit mächtigen Muskeln bepackter Mann aussah.
Aber das Monster hatte nicht nur etwas von einem Menschen, sondern auch von einem Pavian an sich. Der halbe Körper war von einem Fell bedeckt. Schädel und Schnauze waren die eines gefährlich aussehenden Tiers.
Lange Reißzähne ragten aus dem Maul des aggressiv aufbrüllenden Ungeheuers, und seine kriegerische Erscheinung wurde durch ein großes scharfes Beil vervollkommnet, das es wild über seinem Schädel schwang.
Das Grau des Steins verflüchtigte sich immer mehr. Stämmige Beine kamen zum Vorschein. Caggon hatte seine Tarnung aufgegeben, er war kein großer, eiförmiger Stein mehr, sondern ein koloßhaftes Monster, in dessen vier Augen eine tückische Mordlust glitzerte.
***
Die Quayles waren Holzfäller. Seit vielen Generationen schon. Ihr Leben war hart und reich an Entbehrungen. Trotzdem waren sie mit dem, was sie hatten, zufrieden.
Tag für Tag zogen sie im Morgengrauen los und kehrten erst abends in ihr Blockhaus am Fluß zurück, aßen, was ihnen der grauhaarige Lambert Quayle - das Familienoberhaupt - vorsetzte, und tranken Unmengen von Whisky, In dieser rauhen Gegend hatte Lambert Quayles Frau Rebecca nur so lange gelebt, bis sie ihm drei Söhne geboren hatte: Murray, Geoff und Joe, Das schien ihre einzige Aufgabe gewesen zu sein. Danach zerbrach sie an der Wildnis und starb eines Nachts, ohne daß ihre Familie gewußt hatte, wie krank sie die Monate davor gewesen war. Rebecca Quayle war eine gute Frau gewesen, eine Duldnerin, die niemals geklagt hatte.
Und so war sie auch gestorben - still und unauffällig. In ihr Schicksal ergeben hatte sie bis zum letzten Atemzug gebetet und schließlich - fast erleichtert - ihre Seele ausgehaucht. Die Plage des Lebens war vorbei.
Seit ihrem Tod lebte Lambert Quayle mit seinen Söhnen allein in der Wildnis. Sie waren zu kräftigen Burschen herangewachsen und konnten tüchtig zupacken.
Es herrschte ein rauher, aber herzlicher Ton bei den Quayles. Manchmal prügelten sich Murray, Geoff und Joe, daß die Fetzen flogen, aber das nahm ihr Vater niemals ernst.
Sie hatten eben noch überschüssige Kräfte, die sie loswerden mußten. Wenn der Familie Gefahr von außen drohte, hielten die Brüder wie Pech und Schwefel zusammen. Der alte Quayle war sehr stolz auf seine Söhne, die ihm kaum mal Respekt entgegenbrachten. In ihren Augen war er nicht nur ihr Vater, sondern mehr noch ihr bester Freund, und als solcher mußte er es sich gefallen lassen, daß sie ihn hin und wieder ganz schön hart auf die
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