1990 - Der Silberwolf
erhielt Vincent Garron mehr Bewegungsfreiheit. Der Monochrom-Mutant im Körper des Avatara-Androiden sah sich verwirrt um. Er entdeckte Tyula, aber sein Blick ging durch sie hindurch. „Vincent erkennt mich nicht", ächzte sie. „Somnaro hat wohl Recht. Es ist wie so oft in der Vergangenheit. Ein anderes Bewusstsein hat von ihm Besitz ergriffen. Aber was will ..."
Fassungslos beobachtete sie, wie sich der Androidenkörper bewegte. Im Zeit1upentempo streckte er den rechten Arm aus und kippte die Hand nach unten. Dann drehte er das Handgelenk hin und her. Gleichzeitig hob er den linken Fuß vom Boden ab und ließ ihn wenige Zentimeter darüber in der Luft hängen. Etliche Atemzüge lang erstarrte der gesamte Körper, als sei er schockgefrostet worden. Dann schob er das Bein nach vorn durch die Luft, bis die Zehenspitzen den Boden berührten. Die rechte Ferse löste sich jetzt ebenfalls vom Untergrund, das rechte Bein ruhte ebenfalls auf den Zehen. Garron bog den Oberkörper zurück und ließ gleichzeitig das Kinn auf die Brust sinken. Wieder sah es aus, als halte eine unsichtbare Kraft seinen Körper auf. Endlich - die Augen warteten vergeblich auf eine rasche Bewegung - setzte der linke Fuß im Fünf Sekunden-Takt auf, während der rechte Arm nach oben fuhr und eine Kreiselbewegung ausführte.
Diese Bewegung dauerte fast dreißig Sekunden. „Wenigstens kann sich der Androide dabei keine Muskelfaserrisse holen", hörte sie den Galaktischen Mediziner sagen. „Aber was soll das Ganze? Eine stumme Botschaft kann es kaum sein."
„Warten wir es ab" meinte Kantor. „Die Aufzeichnungsgeräte halten alles fest." Garrons Avatara-Körper kam langsam, aber sicher in Fahrt. Die Bewegungen wurden flüssiger, aber nicht schneller. Irgendwie erinnerten sie Tuyula an ihre Kinderzeit auf Nyveloe. Es gab Spiele im Freien, bei denen sich Kinder ähnlich bewegten und dabei ihre Körper derart verkrümmten, dass die Sonne Tierschatten auf den Boden oder an die Hauswand warf. Dabei jedesmal das Gleichgewicht zu halten war schier unmöglich.
An solche Spiele dachte sie gern und mit Wohlbehagen. Viel mehr Freuden hatte ihre Kindheit unter den Fittichen ihrer habgierigen und rücksichtslosen Eltern nicht für sie bereitgehalten. „Schattenboxen", sagte Myles. Er stand dicht hinter ihr und legte eine Hand auf die Schulter. „Hast du so etwas schon mal bei ihm beobachtet?" Sie musterte den Aktivatorträger aus den starren Hinterkopfaugen und schüttelte in menschlicher Manier den Kopf. „Nein, so etwas nicht." Sie versuchte aus den Bewegungen Rückschlüsse auf die Persönlichkeit zu ziehen, die von ihm Besitz ergriffen hatte. Es gelang ihr nicht.
Garrons Weg beschrieb Kreise und Spiralen auf dem Boden. Dabei näherte er sich mehr und mehr dem blauen Energiefeld, das eine tödliche Grenze für ihn darstellte.
Plötzlich blieb er stehen, als sei er gegen ein unsichtbares Hindernis gelaufen. Sein freundlicher Gesichtsausdruck mit dem Lächeln um die Mundwinkel verschwand übergangslos. Der Avatara-Androide präsentierte ihnen eine eingefrorene Mimik und ein ständig zuckendes rechtes Augenlid. „Ich bin Sirku!" verkündete er wieder. Und nach zwei Atemzügen fügte er hinzu: „Gan Grango Ranka." Elgor Rizz meldete sich aus der Zentrale. „Ich werde Alfredo da Wolkensteina Bescheid sagen", teilte der Ertruser mit. „Ja, tu das", antwortete Kantor. „Wer ist das?" fragte Tuyula leise. „Muss man ihn kennen?"
„Nicht unbedingt. Er ist einer der bekanntesten Sprachwissenschaftler, die wir auf Camelot und in der halben Milchstraße haben, mit Schwerpunkt auf den Insektoiden-Sprachgruppen. Außerdem ist er ein sehr guter Dagor-Kämpfer."
„Ein Arkonide?"
„Ein Ferrone."
„Oh" ,machte Tuyula Azyk. „Das hätte ich nicht..."
Das schrille Geheul des Alarms übertönte ihre letzten Worte. Sie zuckte zusammen und starrte durch den Paratronschirm auf Garron. Garron änderte sein Verhalten nicht. Er turnte wie an unsichtbaren Fäden durch das Areal und murmelte immer wieder die seltsamen Formulierungen vor sich hin.
Auf dem Bildschirm ließ sich lediglich ein kurzes Flirren erkennen. Es hinterließ einen bunten Reflex auf der Netzhaut, der eine Viertelsekunde anhielt. „Rizz an Kantor", hörte Tuyula die Stimme des Ertrusers. „Hier funkt und zischt es."
„Alles abschalten bis auf die Paratrons!" rief Myles laut. „Achtung, Zentrale, verdreifacht das Feld um Garron!" Ungeachtet des Alarms und der Schutzvorkehrungen bewegte
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