1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
wie die Zeitung ja auch schreibt, daß er dazu gezwungen wurde. Ich kenne den Fall und weiß, für diese Version gibt es mehrere Anhaltspunkte. Was nun Kopjella betrifft, sehe ich zwei Möglichkeiten, zwei Täterkreise. Entweder war einer wie ich hinter ihm her, hat ihn gesucht, um mit ihm eine Rechnung zu begleichen. Rache also. Oder es hat, wie man es auch bei Fehrkamp für möglich hält, eine Art Selbstreinigung stattgefunden. Ich habe mal von einer Organisation gehört, von einer Gruppe ehemaliger Stasi-Offiziere. Sie sollen sich nach der Wende zusammengeschlossen haben und gemeinsam in den Untergrund gegangen sein. Ich denke mir, daß Kopjella dieser Gruppe vielleicht angehörte und aus irgendeinem Grund für die anderen zu einer Gefahr geworden war. Also haben sie ihn ausgeschaltet. Möglich, daß auch Sie dieser Organisation angehören. Wir sollten, meine ich, jetzt ausführlich miteinander reden.«
»Ich habe Hunger«, lautete die Antwort.
Als sie wieder oben waren, sagte Frau Engert:
»Ich glaube, das Eis ist gebrochen. Er wird essen, und danach wird er reden. Kopjellas Tod hat ihn ungestimmt.«
Doch Kämmerer erwiderte: »Anfangs dachte ich auch, die Nachricht würde ihn weichklopfen, aber daß er nun was zu essen haben will, spricht eher dagegen. Wer Trauer empfindet, hat keinen Appetit. Oder anders herum. Wenn Vogt jetzt plötzlich Appetit hat, sitzt die Trauer nicht tief.«
»Und die Tränen?«
»Krokodilstränen. Ich fürchte, er will essen, um wieder zu Kräften zu kommen, und dann heckt er was Neues aus.«
»Nein, nein, da irren Sie! Im Krieg hab’ ich eine Mutter erlebt, die gerade die Nachricht bekommen hatte, daß ihr Sohn gefallen war. Sie aß wie ein Scheunendrescher. Oder nehmen Sie die Leute, die Sorgen haben! Die essen manchmal genauso drauflos, ganz ohne Hemmungen. So ist ja auch der Begriff ›Kummerspeck‹ entstanden.«
»Na gut, wir werden sehen.«
»Ich koche ihm jetzt Haferflocken. Nach dem langen Fasten verträgt er die noch am ehesten. Danach wird er auspacken.«
Sie sollte recht behalten, auch wenn das Erzählen erst viel später einsetzte. Sie waren wieder in den Keller gegangen, und zunächst erhob sich die Frage, ob sie ihm die Handfesseln abnehmen oder ihn füttern sollten. Sie entschieden sich für die freien Hände, aber Kämmerer hielt die Waffe schußbereit. Nach der Mahlzeit bot er ihm eine Zigarette an.
»Nein, danke«, sagte Vogt.
»Wollen Sie uns nun nicht doch einiges erklären, Herr Vogt?« fragte Kämmerer, und die Antwort lautete: »Ich heiße nicht Vogt. Ich heiße Schmidtbauer, und ich habe Ihnen in der Tat einiges zu sagen. Aber sie müssen noch etwas warten. Wie spät ist es?« Er hatte wohl vergessen, daß er seine Uhr wieder sehen konnte.
»Halb elf.«
»Also um elf. Und jetzt habe ich eine Bitte. Ich will ein Telefongespräch führen. Sie dürfen mithören. Allerdings müssen Sie mir die Fußfesseln lösen, damit ich nach oben gehen kann.«
»Die Schnur«, sagte Frau Engert, »reicht bis in den Keller.«
»Um so besser. Wie gesagt, das Gespräch dürfen Sie verfolgen, aber die Nummer, die ich wähle, behalte ich für mich. Vorerst. Ob es mir nachher nichts mehr ausmacht, sie Ihnen mitzuteilen, hängt vom Ergebnis des Telefonats ab. Akzeptieren Sie das?«
»Ja«, sagte Kämmerer.
Frau Engert holte den Apparat, brachte auch einen Telefonverstärker mit, der das Mithören ermöglichte. Sie übergab Vogt das Telefon. Er kehrte ihnen, während er die Tasten drückte, den Rücken zu, drehte sich dann wieder um.
Eine Männerstimme meldete sich mit »Ja«.
»Hier Schmidtbauer. Vorweg ein paar Codes zur Legitimation: Bärwald, ARBOLEDA, Ribe. Frag mich bitte nicht, wo ich bin! Ich erkläre euch später alles. Jetzt möchte ich nur eines wissen. Das mit Frank, gestern abend, war das unerläßlich?«
»Es war ein Befehl, und der Alte hat ihn, wie ich finde, zu Recht erteilt. Frank hat die Statuten verletzt, gröblich, und das gleich mehrmals.«
»Gut, Henke, mehr wollte ich nicht wissen.«
»Aber wieso kannst du telefonieren? Von wo rufst du an? Wir waren sicher, du …«
»Ende!« sagte Schmidtbauer und legte auf. »Ich hatte noch Zweifel«, wandte er sich dann an die beiden, »aber es war die Nr. l, war der Oberst. Er hat meinen Freund umbringen lassen. Also, kommen Sie in einer halben Stunde! Ich muß erst wieder klarwerden im Kopf. Bringen Sie was zum Schreiben mit! Sie werden sich Notizen machen.«
»Besser, wir bringen einen Kassetten-Recorder
Weitere Kostenlose Bücher