Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
geringste Interesse. Das ist doch eine klare Sache. Eine ganz simple Angelegenheit.«
    Einen Moment lang schwieg Tengo. Dann sagte er: »Aber das, was Fukaeri geschrieben hat, erfüllt dieses Kriterium doch. Sie konnten nicht aufhören zu lesen.«
    »Ja, ja, natürlich. Die Kleine hat irgendetwas Besonderes. Was, weiß ich nicht, aber sie hat es. Das merkt man. Du merkst es, ich merke es. Es ist für jedermann deutlich erkennbar, wie der Rauch eines Lagerfeuers an einem windstillen Tag. Aber, mein lieber Tengo, was das Mädchen hat, sollte man vielleicht nicht in ihren Händen lassen.«
    »Weil keine Aussicht besteht, dass sie schwimmt, wenn wir sie ins Wasser werfen.«
    »Genau.«
    »Also kommt sie nicht in die Auswahl?«
    »O doch«, sagte Komatsu. Er verzog die Lippen und legte beide Hände nebeneinander auf den Tisch. »An dieser Stelle muss ich meine Worte mit Bedacht wählen.«
    Tengo nahm seine Tasse und betrachtete den Kaffeesatz. Er stellte sie wieder ab. Komatsu sagte noch immer nichts. Also ergriff Tengo das Wort. »Jetzt kommt wohl die ›etwas andere Idee‹ ins Spiel, von der Sie gesprochen haben?«
    Komatsu kniff die Augen zusammen, wie ein Lehrer, der einen guten Schüler vor sich hat, und nickte bedächtig. »Ganz genau, mein lieber Junge, du sagst es.«
    Komatsu hatte etwas Undurchschaubares an sich. Niemals konnte man von seiner Miene oder Stimme auf seine Gedanken und Gefühle schließen. Er schien es selbst nicht wenig zu genießen, anderen Sand in die Augen zu streuen. Auf alle Fälle arbeitete sein Kopf sehr schnell. Er war ein Typ, der stets seiner eigenen Logik folgte und der urteilte, ohne auf die Erwartungen anderer Rücksicht zu nehmen. Er spielte sich nie unnötig auf, hatte aber eine gewaltige Menge von Büchern gelesen und verfügte über große Detailkenntnis auf den verschiedensten Gebieten. Aber er besaß nicht nur Wissen, sondern auch Scharfblick, der es ihm ermöglichte, Menschen und Werke zu durchschauen. Dazu gehörte wahrscheinlich auch eine gewisse Voreingenommenheit, doch die war für ihn ein wichtiger Aspekt der Wahrheit.
    Komatsu war von Natur aus kein Mann vieler Worte, und er hasste es, überflüssige Erklärungen abgeben zu müssen, aber wenn es nötig war, vermochte er seine Meinung scharfsinnig und logisch zu vertreten. Er konnte auch ziemlich bissig werden. Dann traf er die verwundbarste Stelle seines Gegners mit einem gezielten Hieb. Er hatte starke persönliche Vorlieben, allerdings überwog die Zahl der Personen und Werke, die er nicht tolerieren konnte, die der anderen bei weitem. Naturgemäß war auch die Zahl derer, die keine Sympathie für ihn hegten, größer als die derjenigen, die ihn mochten, was seinen eigenen Wünschen jedoch durchaus entgegenkam. Wie Tengo es sah, war Komatsu gern allein, und er genoss es sogar, von anderen mit Distanz behandelt oder eindeutig abgelehnt zu werden. Komatsus Überzeugung zufolge erwuchs ein scharfer Geist nicht aus behaglichen Umständen.
    Komatsu war fünfundvierzig, also sechzehn Jahre älter als Tengo. Er widmete sich mit großem Engagement der Herausgabe einer Kunst- und Literaturzeitschrift und galt in der Fachwelt als Experte. Über sein Privatleben jedoch wusste niemand etwas. Durch seinen Beruf kannte er zwar eine Menge Leute, aber über persönliche Dinge sprach er mit niemandem. Tengo hatte keine Ahnung, wo Komatsu geboren und aufgewachsen war oder wo er augenblicklich wohnte. Obwohl sie lange Gespräche führten, wurden diese Themen nie angeschnitten. Man wunderte sich, dass Komatsu bei seiner ausgeprägten Unzugänglichkeit und seiner verächtlichen Haltung gegenüber dem Literaturbetrieb so viele Manuskripte namhafter Autoren an Land zog, aber er bekam offenbar mühelos immer genau das zusammen, was gerade gebraucht wurde. Häufig war es ihm zu verdanken, dass die Zeitschrift ein gewisses Erscheinungsbild und Format besaß. Deshalb war er, wenn auch nicht gerade beliebt, so doch angesehen.
    Gerüchten zufolge hatte Komatsu in den sechziger Jahren, als er an der Universität Tokio Literaturwissenschaft studierte, an den Protesten gegen den Sicherheitsvertrag zwischen den USA und Japan teilgenommen. Es hieß, er habe zu den Anführern der Studentenbewegung gehört und sei ganz in der Nähe gewesen, als Michiko Kanba auf einer Demonstration von der Polizei angegriffen und getötet wurde. Komatsu sei ebenfalls schwer verletzt worden. Wie viel davon der Wahrheit entsprach, wusste man nicht. Aber eigentlich klang es

Weitere Kostenlose Bücher