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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Eindruck eines kräftigen Bauernburschen (er war von der Mittel- bis zur Oberstufe im Judo-Team gewesen), der stets in aller Frühe aufstand. Er trug die Haare kurz, war stets gebräunt, hatte Blumenkohlohren und sah weder wie ein junger Literat noch wie ein Mathematiklehrer aus. All das schien ganz nach Komatsus Geschmack zu sein. Sobald Tengo etwas Neues geschrieben hatte, gab er es Komatsu, der es durchlas und ihm seine Meinung mitteilte. Daraufhin schrieb Tengo den Text, seinen Ratschlägen folgend, um. Und Komatsu gab ihm neue Hinweise, wie ein Trainer, der die Messlatte immer höher ansetzt. »In deinem Fall dauert es vielleicht ein bisschen«, sagte Komatsu. »Aber wir haben ja keine Eile. Sei tapfer und schreib weiter, unentwegt, jeden Tag. Heb alles Geschriebene sicherheitshalber auf. Es könnte dir vielleicht später noch von Nutzen sein.« Das würde er tun, sagte Tengo.
    Komatsu vermittelte ihm auch kleinere journalistische Aufträge. Beispielsweise schrieb Tengo anonym für eine Frauenzeitschrift, die Komatsus Verlag ebenfalls herausgab. Beiträge umschreiben, einfache Besprechungen von Filmen oder Neuerscheinungen bis hin zu Horoskopen, alles ging ihm leicht von der Hand. Er erwarb sich sogar den Ruf, mit seinen Horoskopen häufig richtigzuliegen. Als er einmal vor »Erdbeben am Morgen« warnte, kam es just an diesem Morgen tatsächlich zu einem stärkeren Beben. Das zusätzliche Einkommen, das ihm diese Auftragsarbeiten einbrachten, kam ihm zupass, und zugleich waren sie eine gute Übung. Es beglückte ihn, etwas, das er geschrieben hatte, in welcher Form auch immer gedruckt und in Buchläden aufgereiht zu sehen.
    Bald beteiligte man Tengo auch an der Vorauswahl der für den Debütpreis eingesandten Manuskripte. Es war zwar etwas seltsam, dass er die Manuskripte anderer Kandidaten begutachtete, während er sich selbst auch um den Preis bewarb. Aber Tengo nahm sich dieser Texte unparteiisch an, ohne sich um diese Widersprüchlichkeit zu kümmern. Dadurch, dass er bergeweise schlechte und langweilige Romane las, lernte er gründlich, was schlechte und langweilige Romane waren. Aus den etwa hundert Werken, die er jedes Mal zu lesen bekam, wählte er ungefähr zehn aus, die ihm nicht ganz unbedeutend erschienen, und reichte sie an Komatsu weiter. Jedem davon legte er ein Memo mit seinen Überlegungen bei. Fünf kamen in die Endauswahl, und eine vierköpfige Jury kürte schließlich den Preisträger.
    Neben Tengo gab es noch andere Honorarkräfte, die lasen, und neben Komatsu noch eine Anzahl weiterer Redakteure, die die Vorauswahl trafen. Es wurde Objektivität erwartet, aber allzu viel Mühe musste man sich nicht machen. Denn von den zahlreichen Einsendungen gaben höchstens zwei oder drei Anlass zu gewissen Hoffnungen, und diese waren kaum zu übersehen, ganz gleich, wer sie las. Dreimal schaffte es Tengo in die Auswahl. Natürlich hatte er sich nicht selbst gewählt, sondern zwei der anderen Aushilfsleser sowie Komatsus Redaktion hatten für ihn gestimmt. Keine von Tengos Arbeiten erhielt den Preis, aber er war nicht enttäuscht. Zum einen hatte sich ihm Komatsus Bemerkung, er könne sich ruhig Zeit lassen, eingeprägt, außerdem lag ihm auch nicht sonderlich viel daran, sofort und auf der Stelle Schriftsteller zu werden.
    Wenn sein Stundenplan geregelt verlief, konnte er vier Tage in der Woche zu Hause tun und lassen, was ihm gefiel. Seit sieben Jahren lehrte er nun an der gleichen Yobiko und hatte einen sehr guten Ruf bei den Schülern. Sein Unterrichtsstil war sachlich, und er besaß die Fähigkeit, jede Frage präzise zu beantworten, ohne weitschweifig zu werden. Zu Tengos eigener Überraschung besaß er Talent zum Reden. Er konnte gut erklären, hatte eine tragende Stimme, und oft gelang es ihm, mit einem Scherz die ganze Klasse zum Lachen zu bringen. Bevor er Lehrer geworden war, hatte er sich immer für einen schlechten Redner gehalten. Selbst jetzt noch war er manchmal aufgeregt und stockte, wenn er vor Leuten sprechen musste. Kam er in eine kleine Gruppe, nahm er fast ausschließlich die Rolle eines Zuhörers ein. Aber wenn er unterrichtete und vor einer anonymen Zuhörerschaft stand, wurde sein Kopf plötzlich klar, und er konnte frei und beliebig lange sprechen. Der Mensch ist ein rätselhaftes Wesen, dachte er immer wieder.
    Mit seinem Honorar war er keineswegs unzufrieden. Man konnte nicht sagen, dass es übermäßig viel war, aber die Schule zahlte nach Leistung. Zu bestimmten Zeiten

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