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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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mit einer Currysoße, die noch übrig war, und mischte einen Salat aus Bohnen und Zwiebeln. Die Zubereitung von Mahlzeiten fiel Tengo nicht schwer. Er hatte die Angewohnheit, beim Kochen über alltägliche Probleme, mathematische Aufgaben, Literatur oder metaphysische Thesen nachzudenken. Während er in der Küche stand und manuelle Arbeiten verrichtete, konnte er seine Gedanken besser ordnen, als wenn er untätig war. Doch alles Grübeln nutzte nichts, er hatte keine Ahnung, wo der »bestimmte Ort« sein sollte, von dem Fukaeri gesprochen hatte. All seine Versuche, Ordnung in das Chaos zu bringen, blieben vergeblich. Die Ergebnisse, zu denen er gelangte, waren mehr als dürftig.
    Die beiden saßen einander gegenüber am Tisch und nahmen ihr Abendessen ein. Sie sprachen kaum. Jeder hing seinen Gedanken nach, während sie sich schweigend die Speisen in den Mund schoben wie alte Eheleute, die sich gegenseitig satthatten. Vielleicht dachten sie auch gar nichts. In Fukaeris Fall zumindest war der Unterschied nicht leicht zu bestimmen. Als sie fertig waren, trank Tengo eine Tasse Kaffee, und Fukaeri nahm sich einen Pudding aus dem Kühlschrank. Ihr Gesichtsausdruck blieb immer gleich, egal was sie aß. Eigentlich wirkte es, als kaue sie nur.
    Tengo setzte sich an den Schreibtisch. Er wollte ihren Hinweis befolgen und sich an Aomame erinnern.
    Sie haben Erinnerungen an sie. Vielleicht nutzen die etwas.
    Aber Tengo konnte sich nicht auf seine Aufgabe konzentrieren. Fukaeri hatte ein anderes Rolling-Stones-Album aufgelegt. Es erklang »Little red rooster« – entstanden, als Mick Jagger so begeistert vom Chicago Blues war. Gar nicht schlecht. Aber nicht das Richtige für jemanden, der vorhat, ernsthaft nachzudenken und in seinen Erinnerungen zu graben. Dazu waren die Rolling Stones wohl kaum geeignet. Er musste an einem ruhigen Ort für sich sein.
    »Ich gehe ein bisschen raus«, sagte Tengo.
    Fukaeri nickte gleichgültig, während sie die Hülle des Stones-Albums betrachtete.
    »Wenn jemand kommt, machst du nicht auf, ja?«, sagte er.
    Tengo verließ in Turnschuhen, einem dunkelblauen T-Shirt mit langen Ärmeln und khakifarbenen Chinos, aus denen jeder Anflug von Bügelfalte verschwunden war, die Wohnung und ging in Richtung Bahnhof. Kurz davor betrat er ein kleines Lokal mit Namen Mugiatama – »Gerstenkopf« –, wo er sich ein Bier vom Fass bestellte. Tengo kannte den Gerstenkopf von früher. Es gab dort Platz für etwa zwanzig Personen, und man servierte alkoholische Getränke und kleine Speisen. Spätabends wimmelte es von jungen Leuten, aber zwischen sieben und acht gab es nur wenige Gäste. Die Atmosphäre war ruhig und angenehm. Woher der Name des Lokals kam und was er bedeuten sollte, wusste Tengo nicht. Er hätte die Bedienung fragen können, aber zwanglose Gespräche mit Fremden waren nicht gerade seine Stärke. Außerdem fehlte ihm nichts, wenn er die Herkunft des Namens nicht kannte. Es war einfach ein sehr gemütliches Lokal, das eben Gerstenkopf hieß.
    Rücksichtsvollerweise wurde keine Musik gespielt. Tengo setzte sich an einen Tisch am Fenster und dachte an Aomame. Dabei trank er sein Carlsberg vom Fass und knabberte eine Nussmischung aus einer kleinen Schale. Er sah sich selbst als Zehnjährigen. Sein Leben erreichte damals einen Wendepunkt. Nachdem Aomame seine Hand genommen hatte, hatte er sich geweigert, seinen Vater weiter beim Kassieren der Gebühren für NHK zu begleiten. Bald darauf hatte er eine deutliche Erektion und einen Samenerguss erlebt. Natürlich wäre diese Wende auch eingetreten, wenn Aomame seine Hand nicht gedrückt hätte. Früher oder später. Aber sie hatte ihm Mut gemacht und so die Veränderung beschleunigt. Es war, als habe sie ihm einen Schubs gegeben.
    Er spreizte seine linke Hand und betrachtete sie. Ein zehnjähriges Mädchen hatte sie gedrückt und damit eine gewaltige Veränderung in ihm hervorgerufen. Wie das möglich gewesen war, konnte er sich nicht schlüssig erklären. Aber sie hatten einander damals völlig natürlich verstanden und angenommen. So vollständig, dass es beinahe wie ein Wunder war. So etwas stieß einem im Leben nicht gerade häufig zu. Vielleicht erlebten manche es überhaupt nicht. Tengo war damals noch nicht in der Lage gewesen, genau zu verstehen, welche entscheidende Dimension dieses Ereignis hatte. Und nicht nur damals. Noch bis vor kurzem hatte er die dem Vorgang innewohnende Bedeutung nie wirklich verstanden, sondern einfach nur vage das Bild

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