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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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aus Luft ist. Aber ich weiß es.
    Anscheinend wird die Distanz zwischen uns nach und nach immer geringer. Gewisse Umstände haben uns beide in diese Welt hier geführt. Wir kommen einander immer näher, als würden wir in einen großen Strudel gesogen werden. Vielleicht ist es ein tödlicher Strudel. Aber nach den Worten des Leaders hätte es für uns ohnehin nie die Möglichkeit einer Begegnung ohne tödlichen Ausgang gegeben. Genau wie durch Gewalt eine gewisse Art von reiner Verbindung entsteht.
    Aomame atmete einmal tief durch. Dann streckte sie die Hand nach der auf dem Tisch liegenden Heckler & Koch aus, um die Härte des Metalls zu spüren. Sie stellte sich vor, wie sie sich den Lauf in den Mund schob und abdrückte.
    Plötzlich landete eine große Krähe auf dem Balkongeländer und krächzte mehrmals kurz und durchdringend. Eine Weile beobachteten Aomame und die Krähe einander durch die Glasscheibe. Den Kopf schräg gelegt, folgte die Krähe mit großen glänzenden Augen Aomames Bewegungen. Es kam ihr vor, als erriete die Krähe die Bedeutung der Waffe in ihrer Hand. Krähen sind kluge Vögel. Sie verstehen, dass ein Stück Eisen wie dieses von schwerwiegender Bedeutung ist. Sie wissen nicht, warum, aber sie wissen, dass es so ist.
    Unvermutet breitete die Krähe die Flügel aus und flog ebenso rasch davon, wie sie gekommen war. Als habe sie alles gesehen, was sie sehen wollte. Aomame stand auf, schaltete den Fernseher ab und seufzte. Hoffentlich war die Krähe keine Spionin der Little People gewesen.
    Aomame absolvierte auf dem Teppich im Wohnzimmer ihre gewohnten Dehnübungen. Eine Stunde lang marterte sie ihre Muskeln. Einen nach dem anderen unterzog sie einer gründlichen und strengen Prüfung. Aomame hatte sich Bezeichnung, Rolle und Eigenschaften jedes einzelnen Muskels bis ins Detail eingeprägt. Sie überging keinen einzigen. Der Schweiß floss in Strömen, ihre Atemorgane und ihr Herz arbeiteten auf Hochtouren, und ihr Bewusstsein schaltete automatisch von einem Programm zum nächsten um. Aomame lauschte dem Rauschen ihres Blutes und den stummen Botschaften, die ihre Organe aussandten. Beim Verarbeiten dieser Botschaften bewegten sich ihre Gesichtsmuskeln, als würde sie Grimassen schneiden.
    Anschließend wusch sie sich unter der Dusche den Schweiß ab. Sie stellte sich auf die Waage und überzeugte sich, dass ihr Gewicht sich kaum verändert hatte. Vor dem Spiegel vergewisserte sie sich, dass auch die Größe ihres Busens und der Zustand ihrer Schamhaare gleich geblieben waren, und zog eine Fratze. Wie jeden Morgen.
    Als Aomame aus dem Bad kam, schlüpfte sie in einen bequemen Trainingsanzug. Um sich die Zeit zu vertreiben, beschloss sie, die Wohnung noch einmal ganz genau in Augenschein zu nehmen. Sie begann in der Küche. Welche Lebensmittel standen bereit, welches Geschirr und welche Küchengeräte gab es? Sie prägte sich jeden einzelnen Gegenstand ein und stellte einen ungefähren Plan auf, in welcher Reihenfolge der Lebensmittelvorrat am besten zu verbrauchen war. Nach ihren Berechnungen konnte sie mindestens zehn Tage davon leben, ohne zu hungern, auch wenn sie das Haus nicht verließ. Bei bewusst sparsamem Umgang würden die bereitgestellten Nahrungsmittel wahrscheinlich sogar zwei Wochen reichen.
    Anschließend erforschte sie den Bestand an Haushaltsartikeln: Toilettenpapier, Papiertaschentücher, Waschmittel, Mülltüten. Es fehlte an nichts. Alles war mit großer Sorgfalt eingekauft worden. Wahrscheinlich war an den Vorbereitungen eine Frau beteiligt gewesen. Sie ließen eine routinierte hausfrauliche Vorausschau erkennen. Gewissenhaft und bis ins Detail war berechnet worden, was und wie viel davon eine etwa dreißigjährige, gesunde, ledige Frau für einen kurzen Zeitraum zum Leben brauchte. Ob ein Mann das wohl auch gekonnt hätte? Vielleicht einer, der schwul war und über eine scharfe Beobachtungsgabe verfügte.
    Im Wäscheschrank im Schlafzimmer waren eine Reihe Laken und Decken sowie Bett- und Kissenbezüge gestapelt. Alles verströmte den Geruch neuer – natürlich weißer – Bettwäsche. Man hatte jede Art von Verzierung peinlich vermieden. Persönlicher Geschmack und Individualität waren hier nicht gefragt.
    Im Wohnzimmer standen das Fernsehgerät, ein Videorekorder und eine kleine Stereoanlage mit Plattenspieler und Kassettenrekorder. An der Wand gegenüber dem Fenster befand sich ein etwa hüfthohes Sideboard aus Holz. Aomame bückte sich und öffnete die Türen. Etwa

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