20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
ihnen abgeschlossenen Friedensverträge nie recht zu trauen war, geben werde. Nach den Gepflogenheiten der Beduinen und aus noch andern Gründen hätte er diese Reise, um am Dschebel Schammar zu imponieren, eigentlich mit einer großen, glänzenden Reiterschar unternehmen sollen; aber das wäre ein ganz gefahr- und wagnisloses Unternehmen gewesen, bei dem kein Ruhm zu ernten war. Er wollte Abenteuer erleben, von denen er dann später in seiner tief in den ‚Topf des Lobpreises‘ greifenden Weise erzählen konnte, und so war er sehr ernstlich mit sich zu Rate gegangen, ob er nicht lieber allein reiten solle. Da aber war ihm Hanneh, wie er sich gegen mich ausdrückte, ‚mit seiner Waghalsigkeit an den Kopf gesprungen‘ und hatte ihm im Ton ‚strenger Liebe und zorniger Hingebung‘ gesagt, daß sie das nicht gestatten werde. Glücklicherweise war da die Ansage meines Besuches gekommen, welche der Sache eine ganz unerwartet andere Wendung gegeben hatte.
Welch eine Wonne, mit Kara Ben Nemsi nach dem Dschebel Schammar reiten und sich den dortigen Schammar als ‚Freund und Beschützer‘ dieses ‚größten Helden des Erdreichs‘ zeigen zu können! Da war freilich keine Begleitung nötig, und da standen Erlebnisse zu erwarten, über welche ‚noch die späteste Nachwelt staunen würde‘. Zugleich konnte da ein Wunsch in Erfüllung gehen, welchen nicht nur der wagemutige Hadschi, sondern auch seine vorsichtige Hanneh längst gehegt hatten: Kara Ben Halef, ihr Sohn, fand da vielleicht Gelegenheit, den Haddedihn zu zeigen, daß er der würdige Sohn eines tapfern, mutigen Vaters sei. Das war einer der größten Herzenswünsche seiner Eltern. Halef war zwar überzeugt, daß es keinen bessern Behüter seines Sohnes als ihn selbst geben könne, doch war Hanneh nicht ganz derselben Meinung; sie vertraute mir ihr Kind viel lieber an als ihm allein, und als sie gelesen hatten, daß ich kommen werde, hatten sie sich darüber geeinigt, daß Kara Ben Halef uns begleiten solle. Vorher abzuwarten, ob ich auch Lust haben werde, die Tour mitzumachen, das war ihnen gar nicht eingefallen; sie nahmen das als ganz selbstverständlich an. Natürlich aber fragten sie mich, und da ein solcher Ausflug ganz nach meinem Herzen war, gab ich sofort meine Zustimmung – ganz wie sie erwartet hatten. In Beziehung der Mitnahme eines Trupps der Haddedihn fragte mich Halef:
„Mein geliebter Sihdi, du bist stets der Ansicht gewesen, daß viele Begleiter nur hinderlich seien. Ist dies deine Meinung auch noch jetzt?“
„Ja. Warum willst du das wissen?“
„Weil ich mir vorgenommen hatte, diese Reise mit vielleicht hundert Kriegern zu unternehmen, da dies mehr Eindruck macht, als wenn ich mit nur wenig Leuten komme. Nun du aber hier eingetroffen bist, denke ich mit Stolz an unsere gefährlichen Wanderungen und an die vielen Taten, welche wir ohne alle fremde Hilfe ausgeführt haben. Dem Ruhm, welchen wir davontrugen, habe ich es zu verdanken, daß ich Scheik der Haddedihn geworden bin. Leider habe ich diesem Ruhm nichts hinzuzufügen vermocht, weil die letzten Jahre fast vollständig tatenlos vergangen sind. Sollen meine Glieder einrosten und mein Mut einer alten Klinge gleichen, die man nicht mehr aus der Scheide bringt? Du kennst doch deinen treuen Halef und weißt, daß die Gefahr mir so notwendig ist wie dem Fisch die Flut des Wassers. Meine Seele erstickt in dieser Untätigkeit, und mein Geist gleicht einem Adler, den Allah in eine Schnecke verwandelt hat. Und was soll aus meinem Sohn Kara Ben Halef werden, wenn er keine Gelegenheit bekommt, seine Gewandtheit zu betätigen und seine Kühnheit zu beweisen? Er wird ein unnützer Mensch, der nichts vermag als Lagmi (Dattelsaft) zu trinken und dann dereinst an einem Raschah el Buruhda (Schnupfen der Erkältung) zu sterben. Ist das nicht traurig? Kann er sich auszeichnen, wenn ich ihn unter dem Schutz von hundert Reitern mit mir nehme? Nein! Darum begrüße ich deine Ankunft mit tausend Freuden. Ich habe Sehnsucht, wieder einmal etwas zu erleben, was in den Büchern der Helden verzeichnet wird, und das kann ich nur, wenn wir es so machen, wie wir es früher gemacht haben: Wir reiten allein. Was sagst du dazu?“
„Frage vorher, was die Krieger dazu sagen, die dich begleiten sollten und welche nun dableiben müßten.“
„Die frage ich nicht. Ich bin der Scheik, und sie haben zu gehorchen. Ich werde sie später durch einen großen Jagdzug entschädigen. Also, lieber Sihdi, laß mich hören,
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