20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
zögerte ein wenig; dann aber folgte sie doch meiner Aufforderung:
„Halef, der Mann meines Herzens, wollte auch nicht glauben, daß wir Frauen Seelen haben. Kannst du wohl erraten, warum?“
„Ja.“
„Nun, warum?“
„Es scheint mir, daß er sich zuweilen ein wenig vor der deinigen gefürchtet hat.“
„Maschallah! Du hast es getroffen! Er ist der beste Mann, soweit die Erde reicht; er ist sehr klug und auch sehr tapfer, aber er bedarf zuweilen eines guten Rates und eines Kopfes, der ihn zwingt, diesen Rat zu befolgen. Gerade dadurch, daß ich seine Beraterin und Helferin wurde, begann ich zu ahnen, daß wir Frauen auch nicht ohne Geist und Seele sind, denn wenn die Frau den Geist des Mannes zu lenken und zu beherrschen vermag, so kann sie doch nicht bloß ein Körper ohne Inhalt sein. Nun bitte ich dich, ihm mit Vorsicht und Sanftmut beizubringen, daß ich meine Seele gefunden habe und daß er sich aber ja nicht vor ihr fürchten soll. Sooft er versuchte, sie mir abzusprechen, mußte ich sie gegen ihn verteidigen, und da hat er sie wohl nicht in ihrer großen Freundlichkeit und Güte kennengelernt. Er liebte mich, aber meine Seele nicht. Jetzt nun, da ich sie in Wirklichkeit und mit voller Überzeugung besitze, kann sie nicht mehr Gegenstand des Zweifels und des Streites sein; sie wird ihm also stets ihr lieblichstes Angesicht zeigen, denn ich wünsche, daß er sie recht liebgewinnt. Willst du ihm das sagen?“
„Oh, sehr gern, Hanneh, du liebe Tochter der Ateïbeh!“
„Und sprich nicht viel von Mohammed mit ihm! Denn nur dieser falsche Prophet ist schuld an dem Glauben meines Halef, daß nur die Männer Seelen haben. Sprich lieber mit ihm von Isa Ben Marryam und vom heiligen Buch der Christen! Das wird sein Gedächtnis und seine Liebe stärken und ihn nicht in Gedanken fallen lassen, welche das Weib seines Herzens nur betrüben können. Willst du auch das tun?“
„Ich verspreche es dir, du allerklügste und überlegenste aller Frauen.“
„Und ferner weißt du doch, daß er zuweilen verwegener ist als ihm die Vorsicht es zu sein erlaubt. Dulde das nicht; dulde es ja nicht! Beweise es ihm! Zanke ihn aus! Ich bitte dich darum. Das Weib eines furchtlosen Mannes ist stolz auf ihn; aber wenn der Mut sich in Tollkühnheit verwandelt, kann dem Stolz leicht die Trauer folgen. Ich will sein Weib, aber ja nicht seine Witwe sein! Du bist doch überzeugt, Sihdi, daß du ihn mir wiederbringst?“
„So viel an mir liegt, soll er keine Ursache finden, sein Leben unnötig auf das Spiel zu setzen.“
„Ich danke dir! Mein Dank gehört dir auch dafür, daß du ihm seine Bitte, Kara Ben Halef, meinen Sohn, mitzunehmen, abgeschlagen hast. Mein Herz wäre vor Sehnsucht nach dem Liebling krank geworden. Halef meinte, weil euch der Knabe damals gegen die Bebbeh-Kurden begleiten durfte und jetzt gar einen Löwen geschossen hat, würdest du ihm auch jetzt erlauben, mitzureiten.“
„Jener Ritt war ein ganz anderer, ein viel kürzerer, als derjenige, den wir jetzt vorhaben. Es gibt da höchstwahrscheinlich Anstrengungen und Entbehrungen, denen der jugendliche Körper deines Sohnes nicht gewachsen ist. Seine Begleitung würde uns wohl mehr hinderlich als förderlich sein. Meine Weigerung hatte also nur einen Klugheitsgrund; du bist mir keinen Dank schuldig.“
„Oh, Effendi, du willst überhaupt nie, daß man dir dankt. Was seid ihr Christen doch für ganz andere Menschen als die Moslemin! Sag, sind auch die Frauen bei euch besser als bei uns?“
„Hm! Es gibt überall gute und nicht gute Menschen.“
„Auch Frauen?“
„Ja.“
„So werde ich danach trachten, von dir zu den guten gezählt zu werden. Jetzt muß ich fort, denn Halef, der Gebieter meines Herzens, könnte ungeduldig werden. Ich sage dir nochmals Dank. Du hast mir ein ganz neues, schöneres Leben gegeben; das werde ich niemals vergessen. Leïltak sa'ide – Gute Nacht!“
„Allah behüte und bewahre dich! – Leïltak mubarake – Gute Nacht!“
Sie ging. Ich sah ihr nach, bis sie hinter den Zelten verschwand, und kann sagen, daß es mir jetzt leid tat, daß ich gekommen war, ihr ihren Halef für so lange Zeit zu entführen. Welche Tiefe des Gefühls und zugleich welch kindliches Empfinden! Wie schwer hatte das verneinende Urteil des Islam auf ihr gelegen, und wie hatte sie gerungen, diese Last abzuwerfen! Wie fern lag ihr die Indolenz jener unzähligen Orientalinnen, welche den ganzen Zweck und Inhalt ihre Lebens nur darin suchen, in
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