Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
dieser Beziehung früher niemals mit mir einverstanden gewesen; jetzt aber hatte er nichts mehr dagegen einzuwenden. Und was seine Haddedihn betrifft, so stand ich bei ihnen in einem solchen Ansehen, daß mir keiner von ihnen zu widersprechen wagte. Sie beruhigten ihr mohammedanisches Gewissen jedenfalls mit dem Gedanken, daß ich als Christ an ihre Gewohnheiten nicht gebunden sei und also auch ihrem Scheik, als meinem Begleiter, der Fehler von Allah wohl nicht angerechnet werde.
    Da die Frauen und Kinder im Lager bleiben mußten, war Hanneh die erste, von welcher ich Abschied nahm. Sie hatte Tränen in den Augen und sagte:
    „Sihdi, ich weiß, daß du dich vor keiner Gefahr und vor keinem Menschen fürchtest; aber ebenso weiß ich auch, daß du der vorsichtigste aller tapfern Krieger bist. Halef dagegen, der beste Gatte, den die Erde trägt, besitzt eine oft unbesonnene Verwegenheit, und darum ist es möglich, daß doch einmal eine Gefahr über euch zusammenschlägt und euch dem Tod in die Arme wirft. Versprich mir also, doppelt vorsichtig zu sein, wenn Halef sich von seiner Kühnheit einmal fortreißen lassen will!“
    „Ich verspreche es dir“, antwortete ich. „Soweit ich voraussehen kann, brauchst du dich nicht um ihn zu ängstigen. Wir werden gesund und munter wiederkehren. Allah jihfadak – Gott bewahre dich.“
    „Zahranah en Nebi – deine Rückkehr wird uns wie ein Besuch des Propheten sein. Allah jeftah 'alehk – Gott öffne dir die Herzen der Menschen!“
    Nun sagte ich Kara Ben Halef und Omar Ben Sadek ade; dann verabschiedete ich mich von den Kranken und ganz Alten, die uns das Geleit nicht geben konnten, worauf ich von einer Menge von Frauen und Kindern überfallen wurde, welche alle ihre Hände ausstreckten, um mir die meinigen zu drücken. Halef erging es ebenso. Jede dieser Personen wollte ein freundliches Wort von uns haben; wir wurden nach orientalischer Art mit Wünschen, Ermahnungen und Warnungen, welche gar nicht am Platz waren, förmlich überschüttet, und bei der überlebhaften Weise dieser Leute gab das einen Lärm, daß ein ruhiger, deutscher Bürger, wenn er ihn von weitem gehört hätte, jedenfalls auf den Gedanken gekommen wäre, daß hier eine Revolution mit Mord und Totschlag ausgebrochen sei.
    Dabei verging die Zeit wie im Flug, und die drei Stunden schienen so schnell wie eine einzige vergangen zu sein, als endlich alle streit- und reitbaren Männer und Jünglinge sich zu Pferd draußen vor dem Duar versammelt hatten. Wir stiegen auch auf, setzten uns an ihre Spitze, und dann ging es wie ein Wirbelwind dem Fluß zu.
    ‚Wie ein Wirbelwind‘; das ist der richtige Ausdruck; denn man denke ja nicht, daß es bei diesem Ritt eine gerade Richtung, bei diesem Zug eine Ordnung gegeben habe! Die Menge der Reiter glich vielmehr einem großen Mückenschwarm, welcher vom Winde bald dahin und bald dorthin getrieben wird. Jeder einzelne wollte seine Reitkunst zeigen und den andern übertreffen. Das gab Verwicklungen und Zusammenstöße, welche sich von Nachbar zu Nachbar übertrugen und einen scheinbaren Wirrwarr hervorbrachten, der aber grad beabsichtigt war und von Zeit zu Zeit eine so schöne und überraschende Auflösung fand, daß selbst ein Nichtkenner darüber in Entzücken geraten wäre. Dabei wurde geschossen und geschrien, so laut das Pulver knallen und die Stimme schallen wollte. Der Schwarm stob bald auseinander, flog wieder zusammen, ging bald nach rechts oder links, bald geradeaus, dann wieder nach der Seite, bildete jetzt eine Linie, nun einen Kreis, nachher ein Vier- oder ein Vieleck und hierauf abermals ein wirres Durcheinander. Die Fantasia glich einer Komposition mit einer Menge verschiedener Terzquintsextakkorde, von denen jeder einzelne acht verschiedene Auflösungsarten, vier nach Dur und vier nach Moll besitzt, und so schreiend und disharmonierend jetzt, in diesem Augenblick, die Klänge waren, im nächsten fanden sie sich zu einer Harmonie zusammen, von deren Möglichkeit man einen Moment vorher keine Ahnung gehabt hatte. Daß die Pferde dabei so häufig in die Häksen gerissen wurden, daß sie unbedingt darunter leiden mußten, versteht sich ganz von selbst, und das ist es, was ich gegen diese Fantasias und gegen diese Al'ab el Barud (Pulverspiele) habe: Die besten Pferde gehen dabei zugrunde, indem nicht nur die Sprunggelenke, sondern auch andere Teile zu sehr angegriffen werden.
    Die Folge dieser Reitkünste war, daß wir dreimal mehr Zeit als nötig war

Weitere Kostenlose Bücher