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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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auch etwas lebt, was ein Recht auf deine Liebe und auf deine Gnade hat! Warum darf der Mann allein durch Ewigkeiten leben? Was hat das Weib getan, daß sie der Tod so ganz vernichten darf? Das hab ich oft, so oft gefragt und doch kein tröstendes Wort darauf gehört. Antworte du, Effendi, sag die Wahrheit! Nicht ich allein frag dich; im Namen aller Frauen, deren Geist der Islam stiehlt, will ich wissen ob wir wirklich keine, keine Seelen haben!“
    Ich war mehr als überrascht, denn ich hatte zwar Fragen dieser Art, aber keine solche seelische Eruption erwartet. Ich glich einem Menschen, vor welchem plötzlich und ganz unerwartet in ebener Gegend von unterirdischen Gewalten ein Geysir emporgetrieben wird. Was mußte diese Frau im tiefsten Innern durchgefühlt und durchgebangt, durchgehofft und durchgefürchtet haben, daß die Schreie, von denen sie sprach, aus dieser Tiefe nun auch zu meinen Ohren drangen! Ich wollte anders, ganz anders antworten, aber es floß mir die Frage über die Zunge:
    „Warum wendest du dich an mich, an keinen andern?“
    „Weil du ein Christ und nicht ein Moslem bist.“
    „So brauche ich eigentlich gar nichts zu sagen, denn du hast dir die Antwort selbst gegeben. Du fragst den Christ, weil du meinst, daß nicht der Islam, sondern das Christentum die Wahrheit lehrt. Damit hast du euern Mohammed verworfen und dich zu Isa Ben Marryam (Jesus, Mariens Sohn) gewendet.“
    „Hab ich das? Hab ich das wirklich, Sihdi?“
    „Ja.“
    „So sage mir: Hat die Christin eine Seele?“
    „Nicht nur die Christin, sondern auch die Mohammedanerin, die Jüdin, die Heidin, jedes Weib hat eine Seele.“
    „Also ich auch?“
    „Ja, natürlich, ja!“
    „Hamdullillah! Sprich weiter!“
    „Unser heiliges Buch sagt: Gott schuf den Menschen zu seinem Ebenbild, und er schuf sie, einen Mann und ein Weib. Gott ist allmächtig, allwissend, allweise; er ist auch gnädig, barmherzig und von ewiger Güte. Der Mann soll ein Bild der göttlichen Allmacht, das Weib ein Bild der göttlichen Güte und Liebe sein. Sind beide das, dann sind sie Menschen im wahren Sinne, sonst nicht! Kann ein Wesen, welches ein Ebenbild der göttlichen Liebe ist, ohne Seele sein?“
    „Nein, denn grad die Liebe erfordert mehr Seele als alles andere auf der Erde.“
    „Hat also das Weib eine Seele oder nicht?“
    Sie blickte mir eine Zeitlang stumm in das Gesicht, dann sank sie langsam auf die Knie nieder, schlug die Hände zusammen, holte lange, tief und laut Atem und sagte dann im innigsten Ton:
    „Sie hat eine! O Allah, ich habe eine Seele, eine Seele! Und davon hat dieser Effendi mich durch so wenige Worte überzeugt. Ich habe gezweifelt und gekämpft so viele Jahre hindurch, und nun kommt dieses Glück so plötzlich und so strahlend über mich! Ich bin kein hohles Gefäß, welches keinen Inhalt hat. Ich wurde nicht bloß für den Mann geboren, um dann wieder nichts zu sein. Ich habe eine Seele, welche lebt, solange es einen Gott und einen Himmel gibt! Nicht wahr, so ist es, Sihdi?“
    Sie weinte vor Wonne, indem sie diese Frage an mich richtete.
    „Ja, so ist es“, antwortete ich. „Wie Maria, die seligste der Frauen, im Himmel thront, so steht auch dir und allen Frauen, welche ihr nachfolgen, das Tor zu allen Seligkeiten offen. So lehrt das Christentum. Es lehrt auch, daß Christus auf die Welt gekommen ist, damit alle, die an ihn glauben, alle, Mann und Weib, nicht verlorengehen, sondern das ewige Leben haben. Also sollst auch du nicht verloren sein, sondern du bist für das ewige Leben bestimmt.“
    Da stand sie wieder auf, hob wie zum Schwur die Hand empor und sagte:
    „Effendi, ich glaube, daß auch ich eine Seele habe; heut hab' ich sie endlich und wirklich gefunden und werde sie mir nicht wieder nehmen lassen. Wenn der Islam sie mir rauben will, so werfe ich ihn von mir und gehe zu Isa Ben Marryam, bei dem sie sicher vor Gefahren ist. Glaubst du, daß ich das tun werde?“
    „Ich glaube es, denn du befindest dich bereits bei ihm.“
    „Ja, ich verehre ihn, denn er hat, wie du oft schon sagtest, den Menschen die Liebe vom Himmel gebracht. Die Wogen in mir sind ruhig geworden, und es gibt keine Wolken mehr. Es ist klar und hell in meinem Innern. Wie danke ich Allah, daß er mir den Gedanken eingegeben hat, noch heut mit dir zu sprechen! Ich mußte mit dir allein sein, denn in Gegenwart anderer konnte ich nicht sagen, was ich sagen wollte. Nun habe ich nur noch einen Wunsch an dich.“
    „Welchen? Sag es mir!“
    Sie

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