Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
brauchten, um den Fluß zu erreichen; dem Beduinen ist aber, wie überhaupt dem Orientalen, das amerikanische ‚time is money‘ vollständig unbekannt. Am Ufer erwarteten uns einige Haddedihn, welche mit unserm Proviant und den Ziegenhäuten vorausgeritten waren und das Floß zusammengesetzt hatten. Ich untersuchte dasselbe und fand es fehlerlos, so daß wir uns ihm mit unsern Pferden getrost anvertrauen konnten. Nun ging das Abschiednehmen von neuem los. Ich mußte mich in das Unvermeidliche fügen und mich ziehen, schieben, drücken und schütteln lassen, daß mir um meine gesunden Gliedmaßen hätte angst und bange werden mögen, doch wie auf dieser Erde nichts ewig währt, so nahmen auch diese Liebeserweisungen ein Ende; wir hatten nur Kara Ben Halef noch einmal ade zu sagen. Ich tat dies in ruhiger, wenn auch herzlicher Weise. Auch sein Vater, mein kleiner Hadschi, gab sich alle Mühe, nicht sehen zu lassen, wie tief dieser Abschied ihn bewegte; aber seine Stimme zitterte, und seine Augen waren naß. Er strömte von Ermahnungen über, trug ihm tausend Grüße an Hanneh, die ‚sanfteste Mutter unter allen Müttern der Beduinensöhne‘, auf, und dann konnten wir endlich das Floß besteigen und zu den Rudern greifen. Unsere Pferde waren natürlich schon vorher daselbst fest angebunden worden.
    Als wir vom Ufer gestoßen waren und erst langsam, dann schneller der Strömung folgten, sprangen die Haddedihn wieder auf ihre Pferde und folgten uns unter Schüssen und weithin schallendem Geschrei noch eine ganze Strecke weit, bis eine hart an das Wasser tretende Hügelreihe uns ihren oder sie unsern Blicken entzog.
    „Leb wohl, Hanneh, du hellstes Licht unter allen Leuchten des Männerglücks!“ rief Halef, indem er die Hände nach rückwärts ausbreitete. „Leb wohl, Kara Ben Halef, du bester Sohn aller Väter zwischen den beiden Flüssen! Lebt wohl, ihr Haddedihn, ihr tapfersten Streiter unter allen Kriegern von der Wüste El Arab bis zu den Bergen des Kurdenlands! Oh, Effendi, ich gehe gern, so gern mit dir, aber das Abschiednehmen gleicht zwei Brettern, zwischen denen man mir die Brust zusammenschraubt; es ist schwer auszuhalten!“
    „Der Schmerz wird bald verschwinden, lieber Halef, denn du bist ein Mann!“ tröstete ich ihn.
    „Das ist sehr richtig, Sihdi; ich bin ein Mann, aber grad weil ich ein Mann bin, habe ich eine Frau und einen Sohn, und diese beiden sind ja eben die Bretter, welche mich drücken und mir Schmerzen machen. Ich wollte, unser Floß würde gleich jetzt von feindlichen Kriegern überfallen! Da hätten wir uns zu verteidigen, und meine Gedanken würden schnell zu mir zurückkehren müssen von denen, die ich verlassen habe. Oh, Effendi, hättest du dabeisein können, als heut früh nach dem Morgengebet Hanneh, welche dem köstlichsten aller Wohlgerüche des Morgen- und des Abendlandes gleicht, zu mir kam, um Abschied zu nehmen! Sie wollte das nicht vor den Augen anderer, sondern mit mir allein tun, was ich auch für ganz richtig hielt. Sie hat mir da alles gesagt, was sie mir zu sagen hatte!“
    „Und du?“
    „Und ich habe zu allem ja gesagt, denn du weißt, daß sie stets recht hat. Effendi, glaube mir, wenn du dabeigewesen wärst, so hättest du von mir gelernt, wie du dich später verhalten mußt, wenn du ein Weib besitzest, von dem du dich für längere Zeit zu trennen hast. Dein Herz aber ist auf alle Länder der Erde verteilt und wird sich nie nach einer Mitbewohnerin deines Zeltes sehnen!“
    Ich hätte ihm da sagen können, daß er sich irre, wollte dies aber für eine bessere Gelegenheit aufheben, zumal der Fluß grad jetzt einen scharfen Bogen machte, wobei die reißende Strömung unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
    Während des weiteren Verlaufs der heutigen Fahrt bemerkte ich, daß Halef Heimweh hatte. Er war gegen seine sonstige Art sehr schweigsam und in sich gekehrt. Einmal, als er den Pferden Futter gab, übermannte ihn die Wehmut. Er schlang die Arme um Assils Hals und sagte:
    „O Schwarzer, o Schwarzer! Du warst der Liebling meines Sohnes und hast ihn gern auf deinem Rücken getragen. Wäre er doch hier bei uns!“
    Um ihn zu zerstreuen, machte ich ihn auf unsere früheren Erlebnisse aufmerksam, denn wir kamen durch Gegenden, welche damals für uns sehr wichtig geworden waren. Er ging zwar auf dieses Thema ein, aber nicht mit der Lebhaftigkeit, welche ihm sonst eigen war. Ich hätte es gern gesehen, wenn er durch irgendein, wenn auch kleines Ereignis auf

Weitere Kostenlose Bücher