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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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der geistigen Öde des Harems körperlich möglichst rund und schwer zu werden! Und was für ein kluges und energisches Frauchen war diese kleine Hanneh geworden! Ich glaube, es könnte manchem sehr intelligenten Europäer nichts schaden, wenn die Herrin seines Salons eine solche Hanneh wäre.
    So oder ähnlich waren meine Betrachtungen, als ich langsamen Schritts in das Duar zurückkehrte. Was ich erwartete, das traf ein: Halef stand bei meinem Zelt. Er zog mich beim Arm an sich und sagte leise und wichtig:
    „Sihdi, die liebliche Stütze meiner Lebenstage ist zurückgekehrt. Ihre Augen leuchteten und ihre Stimme klang wie der Gesang des Bülbül (Nachtigall), als sie mich ‚ihren guten, lieben‘ Halef nannte. Dieser süße Ton hat mein Herz mit Wonne erfüllt, denn ich will dir aufrichtig sagen, daß es hier im Duar auch noch andere Töne gibt; in welchem Zelt, das brauchst du nicht zu wissen. Ich glaube, du hast mit ihr von mir gesprochen. Habe ich recht?“
    „Ja, du wurdest auch einmal erwähnt.“
    „Nur ein einziges Mal?“
    „Lieber Halef, sei damit zufrieden, daß du überhaupt genannt worden bist!“
    „Aber, Effendi, wenn ihr nicht von mir gesprochen habt, von wem denn sonst?“
    „Bist du der einzige Mensch, von dem man reden kann?“
    „Nein, doch möchte ich nicht, daß meine Hanneh, welche die Summe von allen weiblichen Vorzügen ist, von andern Männern spricht! Ich möchte wirklich sehr gern wissen, worüber ihr euch unterhalten habt.“
    „Frage sie!“
    „Das habe ich getan.“
    „Was antwortete sie?“
    „Ich würde es später von dir erfahren.“
    „Später? Gut! Ich werde dir es später sagen.“
    „Warum nicht jetzt?“
    „Du selbst hast mir versichert, daß Hanneh immer recht habe; also müssen wir uns auch dieses Mal nach ihrem Willen richten. Ich will dir nur mitteilen, daß du stolz, sehr stolz auf die liebliche Herrin deines Frauenzeltes sein kannst. Jetzt wollen wir schlafen, denn das Morgenrot soll uns schon wieder wecken.“
    „Oh, Effendi, warum bist du so schweigsam! Du weißt gar nicht, was für ein Ungeheuer die Neugierde ist! Ihre größte Freude und Wonne besteht darin, alle ihre Freunde und Bekannten so zu peinigen, daß sie des Tages keinen Appetit zum Essen und des Nachts dann weder Schlaf noch Ruhe finden. Muß ich wirklich warten, bis es dir beliebt?“
    „Ja.“
    „So schließ du deine Augen, und schlafe wohl; ich aber werde die Wohltat des Schlummers nicht genießen und mich auf dem Lager krümmen wie ein Regenwurm, den der Schnabel eines Vogels ergriffen hat. Gute Nacht, lieber Sihdi!“
    „Gute Nacht, lieber Halef!“
    Er entfernte sich, und ich ging in das Zelt, um mich niederzulegen.
    Der Tag war erst vor kurzem angebrochen, als ich durch den im Lager herrschenden Lärm aufgeweckt wurde. Man wollte uns bis an den Fluß begleiten, wozu die Vorbereitungen schon jetzt getroffen wurden. Da diese Begleitung eine möglichst festliche sein sollte, so befanden sich alle Bewohner des Lagers in einer so lauten Aufregung, daß ich unmöglich wieder einschlafen konnte. Ich stand also auf, obgleich bis zu unserem Aufbruch noch volle drei Stunden zu vergehen hatten.
    Daß unsere Abreise schon am Vormittage vor sich gehen sollte, war eine Seltenheit, eine Ausnahme, in welche die Haddedihn nur meinetwegen willigten. Bei den Mohammedanern des Orients ist die Zeit des Aufbruchs stets kurz nach dem Gebet des Asr, also ungefähr drei Uhr nachmittags. Es fällt da niemandem ein, in Betracht zu ziehen, daß diese Gewohnheit so unpraktisch wie nur möglich ist. Es vergeht nach dem Asr stets noch eine längere Zeit, ehe die Reise wirklich angetreten wird. Man hat noch Abschied zu nehmen, noch hunderterlei zu sagen und zu tun; man wird eine Strecke weit begleitet, hat sich dann abermals zu verabschieden und ist, wenn es hierauf dunkel wird, nur so weit fortgekommen, daß es besser gewesen wäre, wenn man noch bis früh gewartet hätte. Wenn man dann Lager macht, liegen Aufbruchs- und Lagerort so nahe beieinander, daß zwischen beiden noch bis spät in die Nacht hinein hin und her verkehrt wird; man erwacht infolgedessen am nächsten Morgen spät und ist am Mittag nicht so weit gekommen, wie man sein würde, wenn man die Reise nicht schon gestern, sondern erst heute früh angetreten hätte. Ich habe mich diesem durch die Tradition und die Koranauslegung geheiligtem Gebrauch nie gefügt und bin darum sehr oft mit meinen Reisegefährten in Konflikt geraten. Auch Halef war in

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