20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
fast zwei Stunden nach Mitternacht – – –!!!“
Er brachte, als ob es sich um mein oder sein Todesurteil handle, die Worte nur stoßweise und in einem Ton heraus, der gar nicht trübseliger klingen konnte.
„Maschallah!“ wunderte ich mich nun allerdings. „Sie will mich allein sprechen? Du sollst nicht dabei sein?“
„Ach – ja – allein, Sihdi!“
„Und du hast es ihr erlaubt?“
„Gewiß! Warum sollte ich es ihr nicht erlauben? Mir ist es nicht um sie, sondern nur um dich!“
„Warum um mich?“
„Du wirst dich schwer beleidigt fühlen, daß ein Weib es wagt, eine solche Unterredung mit dir zu verlangen. Aber ich bitte dich Sihdi, nimm einmal mir zuliebe alle deine Milde und Güte zusammen, und sei überzeugt, daß es meiner Hanneh nicht einfällt, eines deiner Gefühle oder einen deiner Gedanken zu erobern, welche du für deinen einstigen Harem aufzubewahren hast. Ich schwöre es dir beim Propheten und seinem Barte zu, daß du getrost und furchtlos zu ihr gehen kannst. Du bist ein Held, ein kühner Mann, und hast dein Leben oft gewagt; willst du jetzt weniger mutig sein?“
Ich mußte mir die größte Mühe geben, ernst zu bleiben. Der liebe Hadschi stellte die allerdings sehr ungewöhnliche Angelegenheit geradezu auf den Kopf, indem er mir Mut machen wollte zu einer Unterredung unter vier Augen mit Hanneh, der heimlichen Beherrscherin der Haddedihn.
„Gib dir keine unnötige Mühe“, antwortete ich. „Ich bin auch ohne sie bereit, deinen und Hannehs Wunsch zu erfüllen.“
„Wirklich? Hamdullillah! Du wirfst mich nicht hinaus?“
„Nein. Wo ist Hanneh? In ihrem Zelt?“
„Nein. Man könnte dich auf dem Weg nach demselben bemerken oder gar dort eintreten sehen, und das darf nicht sein. Hanneh, die Morgenröte am täglichen Osten meiner Behaglichkeit, hat das Duar nach rechts hin verlassen, und du sollst nach links gehen. Ihr wendet euch draußen vor dem Lager einander zu und werdet bald zusammentreffen, ohne daß einer der Wächter euch bemerkt. Ich werde dafür sorgen, daß sie nicht dorthin kommen wo ihr euch befindet.“
War das nicht mehr als seltsam? Hier, im tiefsten Orient, bat mich ein Moslem um eine heimliche Unterredung mit seiner Frau und versprach sogar, uns vor Störungen zu bewahren!
Ich blies, ohne weiter ein Wort zu sagen, die Lampe aus, verließ mit Halef das Zelt und ging dann allein weiter, nach links, zwischen den Zelten hinab, bis ich das Lager hinter mir hatte. Dann wendete ich mich nach rechts. Es war zur Zeit des Neumonds, doch leuchteten die Sterne fast so hell wie Mondenschein. Es dauerte nicht lange, so sah ich Hanneh auf mich zukommen. Es befand sich kein Mensch hier, der uns beobachtete. Als wir zusammentrafen und beieinander stehenblieben, blickte sie mich aus der Umhüllung heraus mit großen, ernsten Augen an, reichte mir ihre Hand und sagte:
„Ich wußte, daß du kommen würdest, Effendi, und ich danke dir!“
Ich berührte ihre Hand mit leisem Druck und antwortete:
„Dein Wunsch macht mich dir Untertan; ich bin ihm gern gefolgt.“
„Du bist ein Christ und achtest auch das Weib. Ich würde lieber tot als jetzt und hier mit einem Moslem sein, welcher nicht Hadschi Halef heißt. Unter deinem Schutz bin ich sicherer als an dem Mimbar (Kanzel) einer Moschee. Ahnst du, worüber ich mit dir zu sprechen wünsche?“
„Ich vermute es.“
„Und warum Halef nicht dabei sein soll?“
„Auch das errate ich.“
„Das wußte ich, und darum wagte ich, zu tun, was sonst kein Weib je unternehmen darf. Ich stehe hier vor Allah und vor dir. Allah sieht und hört mich, doch es fehlt mir seine Stimme; antworte du an seiner Stelle! Es wogt ein weites, tiefes Meer in meiner Seele; seine Wellen sind Gedanken, welche bald mich töten, bald mich an das feste Ufer tragen wollen. Es gibt in meinem Herzen einen Himmel, von welchem tausend Sterne strahlen und den bald wieder finstre Wolke decken; die Sterne wollen mir zu Allah leuchten; die Wolken sind die Zweifel, welche mich den rechten Weg nicht finden lassen. In meinem Innern lebt eine Stimme heißer Angst, die nie zur Ruhe kommt; ich höre sie bei Tag und Nacht, im Wachen und im Traum. Sie schreit nach der Erlösung von dem fürchterlichen Gedanken, daß das Weib nur Fleisch vom Fleische, Staub vom Staube, eine wandelnde Gestalt ohne Geist und ohne Seele sei.“
Sie holte tief Atem, faltete die Hände und fuhr fort:
„O Allah, sei mir gnädig; laß mich wissen, daß in dieser wandelnden Figur
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