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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Gib mir die Hand; wir wollen wieder Freunde sein, wie wir es vorher waren!“
    Der liebe Kleine war wirklich und im Ernst überzeugt, mir durch sein Eheprojekt einen glänzenden Beweis seiner Zuneigung gegeben zu haben. Es fiel mir nicht ein, seinen Vorschlag auch von meinem Standpunkt aus zu beleuchten, denn er gehörte zu denjenigen Charakteren, die man ihres allzu regen Ehrgefühls wegen sehr vorsichtig anzufassen hat. Er hatte mir nun sogar die ausdrückliche Einwilligung zu meiner Ehe gegeben; mehr konnte ich, der bescheidene Reiseschriftsteller, von ihm, dem obersten Scheik der Haddedihn, doch wohl nicht verlangen! Richtig war, daß ich ihn jetzt nicht mehr wie früher als meinen Diener betrachten durfte. Er hielt sich jedenfalls, natürlich ohne es mir zu sagen, für mir wenigstens gleichgestellt, und so hatte ich jetzt manches ruhig hinzunehmen, was sonst wohl nicht ohne Rüge geblieben wäre.
    Am andern Morgen machten wir frühzeitig das Floß wieder flott, um die Fahrt fortzusetzen. Sie verlief ohne alle Fährlichkeit. Die den Haddedihn feindlichen Stämme hatten sich jetzt im Frühjahr in das Innere der Dschesireh (‚Insel‘, Land zwischen Euphrat und Tigris) zurückgezogen. Das war der Grund, daß wir ganz ohne ein erwähnenswertes Ereignis bis in die Gegend kamen, wo der von Kerkuk herbeifließende Adhem in den Tigris mündet.
    Der Hauptstrom hatte der Mündung seines Nebenflusses gegenüber eine lange, immer schmaler werdende Bucht in das Ufer gegraben, deren Ränder dicht mit Gebüsch eingesäumt waren, ein Umstand, welcher uns, obgleich es noch nicht dunkel war, veranlaßte, das Floß in diesen Einschnitt zu treiben, um dort zu übernachten. Wir ruderten und stakten das Kellek bis ganz hinten, befestigten es an dem Ufer und schafften zunächst die Pferde an das Land, dann auch alles andere, was sich auf dem Floß befunden hatte. Da wir sahen, daß sich kein menschliches Wesen in der Nähe befand, setzten wir uns auf und galoppierten eine tüchtige Strecke in das Land hinein, denn eine solche Bewegung tat den Tieren not. Wieder zum Fluß zurückgekehrt, ließen wir sie grasen und sammelten dürres Holz zu einem Feuer für die Nacht; es war davon mehr als genug vorhanden. Dann hielten wir unsere Abendmahlzeit.
    Wir hatten vielleicht nur noch eine Viertelstunde bis zum Abend, denn die Sonne war schon untergegangen, und die Dämmerung ist in jenen Gegenden von sehr kurzer Dauer, da sahen wir jenseits des Tigris ein Floß erscheinen, welches von den Fluten des Adhem in den Hauptstrom getragen wurde. Es befanden sich drei Männer auf diesem Kellek, welches kleiner als das unsrige, doch aus denselben Bestandteilen zusammengesetzt war. Zwei dieser Männer bewegten die Ruder. Der dritte saß ohne Beschäftigung in der Mitte des Floßes. Die Lammfellmützen, welche ihre Köpfe bedeckten, ließen vermuten, daß diese Leute Perser seien.
    „Schau, Sihdi“, sagte Halef, „das sind iranische Schiiten, welche über das Gebirge gekommen sind und sich in Ta'uk oder Tuß Khurmaly ein Floß gebaut haben. Wohin mögen sie wollen?“
    „Jedenfalls flußabwärts, sonst würden sie anstatt des Kellek Pferde haben.“
    „Ja, sie wollen flußab, aber heute nicht mehr. Allah! Siehst du, daß sie zu uns herüberlenken?“
    „Leider! Sie sind derselben Ansicht wie wir, nämlich daß sich diese Bucht vortrefflich zum Nachtlager eignet.“
    „Wollen wir dulden, daß diese Vögel sich hier bei uns einnisten?“
    „Wir können nichts dagegen haben.“
    „Ich denke, doch!“
    „Nein. Ist dieser Ort unser Eigentum?“
    „Nein; aber wir sind vor ihnen hier angekommen, und wer zuerst das Zelt betritt, der bekommt zuerst zu essen, sagt das Sprichwort.“
    „Dieses Sprichwort gilt hier nichts. Wir befinden uns unter freiem Himmel und haben, wenn sie zu uns kommen, sogar die Verpflichtung, gastlich gegen sie zu sein.“
    „Das ist mir gar nicht lieb, denn ich traue ihnen nicht!“
    „Warum?“
    „Weil sie einen so ungewöhnlichen Weg vom Bilad el Adscham (Persien) herüber eingeschlagen haben. Warum haben sie nicht den offenen Karawanenweg verfolgt? Warum haben sie eine Tour gewählt, auf welcher sie erst Pferde, hierauf ein Floß und dann wieder Pferde brauchen? Wo sind die Pferde, auf denen sie über die Berge kamen? Sie haben sie oben am Fluß lassen müssen und müssen sich später andere dafür kaufen. Das kostet Geld; das sind Verluste, zu denen man sich nur dann entschließt, wenn man durch Gründe, welche meinen

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