20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
sagte dann:
„Wenn wir zur rechten Zeit ankommen, wird euer Anteil hundert Tuman (800 Mark) für jeden betragen; ich habe es vorhin während der Fahrt berechnet. Ist euch das genug?“
Seine kleinen Augen richteten sich mit einem eigentümlichen, stechend lauernden Blick auf die beiden. Sie schwiegen eine Weile; dann antwortete der eine, indem er einen ähnlichen Blick zurückgab:
„Bei Hussein, welcher von den sunnitischen Hunden bei Kufa hingeschlachtet wurde, wir würden wohl zufrieden sein, wenn es nicht doch zuwenig wäre. Seit du Pädär-i-Baharat (‚Vater der Gewürze‘) geworden bist, verdienen wir zehnmal mehr als früher; du hast uns aber gesagt, daß ein anderer tausendmal mehr verdient.“
„Gesagt? Habe ich es bloß gesagt?“
„Nein, sondern sogar vorgerechnet.“
„Ja, vorgerechnet. Und was ich einmal ausgerechnet habe, das pflegt stets auch zu stimmen. Du sagst, o Aftab, ich sei Pädär-i-Baharat geworden; ja, den Titel habe ich bekommen, bin es aber nicht; ihr dürft mich jetzt eigentlich nur Sill-i-Safaran (‚Schatten des Safrans‘) nennen. Und obwohl ich in Wahrheit nur dieses bin, könnt ihr bei mir Reichtümer sammeln, während ihr früher kaum das verdientet, womit man den Hunger stillt. Ich bin es, welcher den Gedanken ersann, neben dem Safaran auch Oßfur (Saflor) zu verwenden. Das hat uns schon bis heute viele Tausende von Tumans eingebracht und wird uns viele Tausende noch bringen. Warum bin ich für alle Baharat bestimmt und habe doch nur den Safaran bekommen? Muß ich das dulden? Und müßt ihr euch das gefallen lassen, die ihr meine Untergebenen seid und auch wenig oder mehr erhaltet, wenn ich weniger oder mehr verdiene? Wißt ihr, für wen wir arbeiten und unser Leben wagen? Wer nichts tut, gar nichts tut und doch so köstlich wohnt und lebt wie Giblä-i-Aläm (Mittelpunkt der Welt – der Schah)?“
„Wir wissen es“, antwortete der, den er Aftab genannt hatte.
„Hast du ihn je einmal gesehen?“
„Nein.“
„Warum setzt ihr da täglich euer Leben für ihn auf das Spiel? Stammt er aus dem Fäläk ul äflahk (höchster Himmel), daß er zu stolz ist, sich euch einmal zu zeigen? Bin ich nicht stets bei euch? Teile ich nicht alle Gefahren mit meinen Untergebenen? Wen müßt ihr da mehr lieben und achten, mich oder ihn? Wem müßt ihr mehr Vertrauen schenken? Ich sage euch, ihr würdet jedes Jahr mehr Tausende Tumans einstecken als jetzt Hunderte, wenn ich an seiner Stelle euer Ämir-i-Sillan (Fürst der Schatten) wäre!“
„Das hast du uns schon oft gesagt, und wir glauben es.“
„Ich habe es auch schon vielen andern gesagt, und sie alle glauben es. Ich will euch sagen, daß seine Zeit gekommen ist; es schwebt der Schämschihr (Säbel) schon über seinem Haupt. Ich habe schon mit einigen andern Pädärahn (‚Vätern‘) gesprochen und bin sicher, daß sie im geeigneten Augenblicke nicht zurücktreten werden. Wir wissen, daß er stets unter seinem Gewände einen Sirä (Kettenpanzer) trägt, doch meine Guluhlä (Kugel) geht ganz gewiß hindurch!“
Es trat eine Pause ein. Der Pädär-i-Baharat brütete finster vor sich hin, und auch die beiden andern hielten ihre Blicke ernst und nachdenklich zur Erde gerichtet. Ich hatte schon oft, sehr oft Menschen beschlichen, aber wohl noch selten ein so geheimnisvolles und sonderbares Gespräch belauscht.
Pädär-i-Baharat, Vater der Gewürze – Sill-i-Safaran, Schatten des Safrans – Ämir-i-Sillan, Fürst der Schatten! Das waren jedenfalls Namen, welche eine ganz bestimmte Bedeutung hatten. Aber was für eine? Fürst der Schatten! Wer waren die Schatten? Jedenfalls Menschen; das schloß ich aus der Pluralendung ‚an‘, welche fast nur bei Personen gebraucht wird, während sonst die Endung ha in Anwendung kommt. Aber was für Menschen waren das, und warum wurden sie Sillan, Schatten genannt? Bedeutete der Ausdruck ‚Fürst der Schatten‘ einen Rang? Wenn ja, dann mußten ‚Schatten des Safrans‘ und ‚Vater der Gewürze‘ auch wohl Chargen sein. Es schien sich um Vorgesetzte und Untergebene zu handeln, und wie mir dies alles ein Geheimnis war, so handelte es sich hier wahrscheinlich überhaupt um eine geheime Verbindung oder Körperschaft, welche das Licht des Tages und der Öffentlichkeit zu scheuen hatte.
Derselbe Fluß, an welchem ich mich jetzt befand, wurde einst von den alten Babyloniern und Assyrern beherrscht, bis die Meder und Perser der Herrlichkeit ein Ende machten. Wenn der alte, tatkräftige
Weitere Kostenlose Bücher