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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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die mir unendlich gleichgültig waren, und sie mir plötzlich ganz deutlich wieder zeigt, sobald meine Gedanken durch die Assoziation der Ideen zu dem betreffenden Orts- oder Zeitpunkt zurückgeführt werden. Ganz so geschah es auch jetzt. Kaum hatte der Bimbaschi das Wort ‚Striche‘ ausgesprochen, so standen diese Striche, die vermeintlichen Kommata auf jenem Pergament, so deutlich und bestimmt vor meinem geistigen Auge, daß ich nicht nur ihre Zahl, sondern sogar ihre verschiedene Größe und gegenseitige Lage klar vor mir hatte. Das waren nicht Kommata, sondern Keile, also Worte in Keilschrift, und zwar in einfacher babylonischer Keilschrift, und während ich auf das, was der Bimbaschi weiter sagte, gar nicht hörte, übersetzte ich die Keile in folgende Worte: „Romen 'a. Illai in tat kabad bad 'a. Illai –“. Das heißt wörtlich zu deutsch: „Darbringen dem höchsten Gott mit der Absicht allein zur Pracht des höchsten Gottes –“
    Es war das also nur das Bruchstück eines Satzes, jedenfalls der noch erkennbare Teil der Inschrift des betreffenden Steins, während die andern Zeichen unlesbar geworden waren. Aber hier kam es auch gar nicht auf die Entzifferung der ganzen, ursprünglich vorhandenen Inschrift an, sondern darauf, dieses übriggebliebene Bruchstück festzuhalten, weil nur mit dessen Hilfe der betreffende Stein zu erkennen war. Und selbst wenn man die Inschrift genau kannte, hatte es, falls man noch nicht dort gewesen war, seine Schwierigkeiten, ihn zu entdecken, denn diese Steine haben nur die Größe eines alten babylonischen Fußes im Quadrat. Diesem Gedanken, ohne auf den noch sprechenden Bimbaschi zu achten, weiter folgend, fragte ich ihn plötzlich:
    „Gibt es in der Nähe des Steins mit den Strichen auch noch andere Steine, welche so gezeichnet sind?“
    „Das weiß ich nicht mehr“, antwortete er. „Aber wie kommst du zu dieser Frage? Ich rede von etwas ganz anderem, und du unterbrichst mich mit diesem Stein! Ich glaube, du hast gar nicht gehört, was ich sagte!“
    „Wahrscheinlich. Ich dachte nämlich darüber nach, ob man vielleicht doch einen – – –“
    „Denke nicht nach; ich bitte dich!“ fiel er mir nun seinerseits in die Rede. „Ich habe dir erzählt, was ich erzählen durfte, weil ich weiß, du bist verschwiegen; mehr aber darf ich nicht sagen, denn der Tod würde die unausbleibliche Strafe sein.“
    „So glaubst du wohl, daß du auch jetzt noch beobachtet wirst?“
    „Ja.“
    „Dann weiß man vielleicht, daß ich bei dir bin?“
    „Mag man es wissen! Ich wüßte nicht, aus welchem Grund mir dies Schaden bringen könnte. Dich geht die hiesige Schmuggelei doch gar nichts an.“
    „Was war, während ihr euch gefangen im Birs befandet, aus den Zollbeamten geworden, welche du mitgebracht hattest?“
    „Die hatten in Hilleh vergeblich auf mich gewartet und mich dann ebenso vergeblich gesucht. Da waren sie, ohne sich weiter um mich zu sorgen, wieder nach Bagdad zurückgekehrt. Wenn du glaubst, hier im Orient dieselbe Anhänglichkeit zu finden wie im Abendland, so irrst du dich. Übrigens bekamen wir von dem Säfir unsere Pferde und Waffen wieder und ritten zunächst nach Hilleh, um uns satt zu essen und zu trinken, denn wir waren über drei Tage im Turm gewesen. Sofort nach meiner Ankunft in Bagdad meldete ich mich beim Pascha krank, bat um meine Entlassung und wurde nicht eher wieder gesund, als bis mein Nachfolger meine Stelle angetreten hatte. Man setzte mir eine leider sehr kärgliche Pension aus, von welcher wir bisher gelebt haben, und wenn ich dir sage, daß wir seit jener Zeit noch kein einziges Mal ein Mittagessen gehabt haben, wie das heutige war, so genügt das wohl zum Verständnis unserer Lage. Es gibt Gegenden, in denen ich, der dortigen Billigkeit wegen, besser leben könnte als hier in dem teuren Bagdad; aber ich darf ja nicht fort; mein Leben steht auf dem Spiel.“
    „So hast du keinen Versuch gewagt, Bagdad zu verlassen?“
    „Nein. Wie hätte ich auch nur den Gedanken dazu fassen können! Wir sind hier Gefangene wie damals im Birs Nimrud. Wir sehnen uns von ganzem Herzen fort und fühlen uns doch für das ganze Leben angekettet. Das erzwungene Leben in diesen Banden ekelt mich an. Ich bin menschenscheu geworden und habe mich zurückgezogen. Wenn nur das geringste dort am Turm von Babel passiert, wenn das Wetter einen Stein abbröckelt oder etwas Ähnliches geschieht, kann man denken, ich habe einen Versuch gemacht, dort einzudringen.

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