20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
ersten?“
„Von ihm aus kam man in den mittleren, neben welchem rechts und links die beiden andern lagen. Dem ersten gegenüber stieß an das mittlere das Gefängnis, in welches wir eingesperrt wurden.“
„War dies klein?“
„Nein, sondern ebensogroß, wie die andern vier Uwad (Stube, Kammer) waren.“
„Also bildeten diese fünf Uwad eine ganz regelmäßige Figur von gleichgroßen Vierecken, welche in Form eines Kreuzes aneinanderstießen?“
„Ja; ich will es dir zeigen.“
Er nahm den Tschibuk wieder in die Hand und zeichnete mit der Spitze desselben die entsprechende Figur vor sich hin. Dann fuhr er fort:
„Zu Nummer eins führt die Treppe hinab; von da gingen wir nach Drei, Vier und Zwei, und dann wurden wir wieder gebunden und nach Fünf geschafft, wo wir bewegungslos wie Warenballen liegen mußten.“
„Im Finstern natürlich?“
„Ja; doch solange sie mit den Lampen bei uns waren, konnten wir uns umschauen, sahen aber nichts als kahle Mauern, auch aus Ziegelstein, und auf dem Boden unten einen kleinen Haufen Erde in der Ecke links.“
„Bestand denn der Boden aus Erde?“
„Nein, sondern aus Ziegeln.“
„So ist dieses Häufchen Erde merkwürdig, oder wenigstens will ich sagen, daß es, wenn ich an deiner Stelle gewesen wäre, meine Aufmerksamkeit erregt hätte.“
„Etwa wegen der Kanafid (Plural von Kumfud (Stachelschwein)), welche später kamen? Das sind ja ganz friedliche Tiere, welche keinem Menschen etwas tun.“
„Kanafid? Ah, ihr habt Stachelschweine in diesem Raum gehabt?“
„Ja. Als wir, wie uns deuchte, wohl eine ganze Ewigkeit gelegen hatten, hörten wir ein leises Geräusch; dann rasselte es, wie wenn dünne Stäbe zusammenklingen, und dann jagten sich einige Tiere hin und her. Wir wußten erst nicht, was für welche es waren, aber als wir dann die eigentümlichen grunzenden Töne hörten, welche das Kumfud im Zorn auszustoßen pflegt, da erkannten wir, daß es Kanafid seien.“
„Merkwürdig, höchst merkwürdig!“
„Warum?“
„Siehst du das nicht ein? Zunächst ist es seltsam, daß sich diese sonst so scheuen Tiere in eure unmittelbare Nähe gewagt haben; das erklärt sich aber dadurch, daß vielleicht Frühling war, ihre Paarungszeit, in welcher ihr Gesellungstrieb ja wohl einmal stärker als ihre angeborene Furchtsamkeit sein kann. Viel auffälliger aber ist der Umstand, daß sie sich in dieser aus Ziegeln gemauerten Kammer befunden haben. Die Stachelschweine graben oft sehr lange Gänge; aber durch feste Ziegel können sie wohl kaum. Entweder handelt es sich da um eine Lage zerfallener Luftziegel in der Mauer oder gar um einen verschütteten Ausgang in das Freie, der euch freilich nichts nützen konnte, weil ihr gefesselt wart. Wichtiger für mich, wenigstens jetzt, ist die Frage, in welcher Weise eure Kammer von Nummer Drei abgeschlossen wurde. Gefangene pflegt man doch nicht durch eine Teppichtür zu verwahren!“
„Was das betrifft, so war den Schmugglern eine solche Unvorsichtigkeit auch gar nicht in den Sinn gekommen. Sie hatten einen Vorhang herabgelassen, welcher aus starken Drahtstäben bestand und nach Belieben auf- und niedergerollt und gut befestigt werden konnte. Selbst wenn wir nicht gebunden gewesen wären, und unsere Messer bei uns gehabt hätten, wäre es uns nicht gelungen, diese Stäbe zu zerschneiden.“
„Das Vorhandensein dieses festen Rollvorhangs läßt darauf schließen, daß die Kammer schon vor euch Gefangene aufgenommen hat. Erzähle weiter!“
„Es schien uns, wie gesagt, fast eine Ewigkeit zu sein“, fuhr er fort, „bis wir die Drahtstäbe rasseln hörten und wieder Licht sahen. Der Säfir kam, mit ihm dieselben Männer, welche schon vorher dagewesen waren. Er hatte, wie er uns mitteilte, das Geld bekommen. Dies schien ihn zur Milde gestimmt zu haben, denn er trat viel weniger barsch als früher auf. Er fragte zwar, ob ich mich eines Bessern besonnen hätte, nahm aber meine abweisende Antwort ohne den früheren Zorn ruhig hin und sagte in gelassenem, wenn auch trotzdem sehr entschiedenem Ton:
‚Mit dieser Weigerung hast du dein Urteil selbst gefällt. Ich muß dafür sorgen, daß du uns nicht schaden kannst. Wir ahnten, daß du den Vorschlag zurückweisen würdest, der Unserige zu werden, und in diesem Fall war dein Tod beschlossen. Man hat aber für dich gebeten; wer das gewesen ist, das brauchst du nicht zu wissen; ich habe dem Betreffenden Schonung deines Lebens zugesagt, falls du bereit bist, uns in anderer
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