20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
sterben.“
„Und meine Leute würden auch euch hier überfallen und umbringen!“
„Pshaw! Dort halten sie. Wagen sie sich zu uns heran?“
„Sie werden es, wenn mich deine Kugel getroffen hat!“
„Das glaube nicht! Sie werden, wie gewöhnlich, ein ohnmächtiges Wutgeheul erheben, aber sich vor dem Zaubergewehr Old Shatterhands fürchten. Ich halte mein Wort: Du stirbst, wenn die Sonne herunter ist, falls die Bleichgesichter noch nicht freigegeben worden sind. Verhandle also nicht, sondern benutze die Zeit, die sonst verstreicht. Die Sonne hat nur noch zwei Handbreit niederzugehen, dann geht auch die deinige unter!“
Da fiel Dschafar mit kräftiger Betonung ein:
„Gebt Euch doch keine solche Mühe mit diesem roten Kerl, Sir! Wir fürchten uns vor seinen Halunken nicht. Wenn die Frist verstrichen ist, die Ihr ihm gegeben habt, so bekommt er eine Kugel, und wir wollen sehen, ob diese Kerls es wagen, uns anzugreifen. Ich sage Euch, ich warte nur darauf, daß die Sonne den Horizont berührt. Wenn Ihr dann nicht schießt, so schieße ich; das schwöre ich Euch zu! Der Halunke hat es nicht um mich verdient, daß ich ihn schone! Solches Ungeziefer muß man von der Erde vertilgen, daß es fernerhin weiter keinen Schaden machen kann!“
„Hast du es gehört?“ warnte ich den Häuptling. „Es ist uns ernst; also besinne dich schnell!“
Er wäre ganz und gar ohne Verstand und Überlegung gewesen, wenn er jetzt nicht eingesehen hätte, daß die beiden Trümpfe, die er gegen mich ausgespielt hatte, bei uns keine Geltung besaßen. Dennoch ließ er es bis zum Äußersten kommen, denn er wartete, finster vor sich niederblickend und ohne ein Wort zu sagen, bis die Sonne in höchstens einer Minute den Horizont berühren mußte. Da nahm Dschafar sein Gewehr auf und sagte:
„Jetzt wird es Zeit, Mr. Shatterhand. Wer soll schießen? Ihr oder ich?“
„Alle beide“, antwortete ich.
„Nein, alle drei“, fiel Perkins ein. „Ihr sollt nicht allein den Vorzug haben, die Menschheit von diesem Schuft befreit zu haben. Gebt nur das Zeichen, Sir!“
Diese Aufforderung war, indem er sein Gewehr auf den Häuptling anlegte, an mich gerichtet. Ich hob meinen Stutzen, richtete das Auge auf die Sonne und antwortete:
„Gut, ich bin einverstanden; mag er also drei Kugeln bekommen anstatt nur eine. Zielt nicht auf sein Herz, sondern auf seinen Kopf! Der Tod mag ihn in sein schwaches Gehirn treffen. Dann nehmen wir ihm die Skalplocke und die Medizin und werfen beides den Präriewölfen vor, damit seine Seele nicht in den ewigen Jagdgründen erscheinen darf.“
Als er die Mündung der drei Gewehre auf seine Stirn gerichtet sah, gab er den Widerstand auf und rief aus:
„Schießt nicht! Ich bin bereit zu tun was ihr wollt!“
„Ohne allen Hintersinn?“ fragte ich.
„Ja. Der große Geist ist diesmal gegen mich; er will, daß ich nachgebe, und ich gehorche ihm.“
„Ob du ihm oder aus Angst vor uns gehorchst, ist ganz dasselbe. Ruf deinen Kriegern zu, die Gefangenen loszubinden und sie uns herzuschicken! Vorher aber müssen sie ihnen alles zurückgeben, was sie ihnen abgenommen haben. Wenn nur der geringste Gegenstand fehlt, bekommst du die drei Kugeln, welche dir zugedacht waren.“
„Sie sollen alles wiederhaben; aber dann gibst du mich auch frei?“
„Dazu bin ich nicht verpflichtet.“
„Du hast aber doch gesagt: Freiheit gegen Freiheit!“
„Allerdings; aber vergiß nicht, was geschehen ist und was wir ausgemacht haben! Du hast uns die Gefangenen nur dafür auszuliefern, daß wir deine Medizin schonen, bleibst jedoch unser Gefangener. Einen Mord wollen wir nicht begehen, und ich halte es für einen Mord, wenn wir dir nachträglich das Leben nahmen. Du sollst also die Freiheit erhalten, aber wann, das ist meiner Güte anheimgestellt.“
„So wollt ihr mich mit euch schleppen?“
„Nein. Ich werde vielmehr so gnädig sein, dich heut schon freizugeben, und nicht nur heut, sondern sofort, dann, wenn die Bleichgesichter mit allem, was ihnen gehört, hier bei uns eingetroffen sind. Wir werden dies mit der Pfeife des Friedens bekräftigen.“
„So will ich einen meiner Krieger herbeirufen und ihm befehlen, was geschehen soll.“
„Tu es! Das ist besser, als wenn du deine Befehle aus der Ferne gibst.“
Er rief seinen Leuten einen Namen zu, befahl dem Träger desselben, zu uns zu kommen, und gab ihm die Versicherung, daß ihm nichts geschehen werde. Der Betreffende gehorchte der Aufforderung und kam,
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