20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
doch Euch!“
„Uns? Pshaw! Die beiden Snuffles! Habe freilich bisher immer wieder gedacht, was für außerordentlich tüchtige Kerls wir sind, möchte es aber jetzt nicht mehr behaupten. Bin wie ein Schuljunge den Roten in die Hände gerutscht, und mein Jim hat auch nicht klüger gehandelt. Sind wir zwei alten Narren da die rechten Helfer für diese fünf Gentlemen? Ohne Euch würden wir alle morgen totgepeinigt werden; das ist der Beweis, daß wir Euch noch länger brauchen. Habe ich recht oder nicht?“
„Aber alter Tim, was fällt dir ein!“ rief da Jim ganz erstaunt. „Ich kenne dich nicht mehr. In deinem ganzen Leben hast du noch nie so viele Worte hintereinander gesprochen!“
„Well! Ist mir auch nicht leicht geworden. Will lieber mit einem Grizzlybären in seinem Lager schlafen, als eine Rede halten; habe aber geglaubt, daß es hier nötig ist. Oder meint Ihr nicht, Mr. Shatterhand?“
Dschafar wiederholte seine Bitte, welcher sich die andern alle anschlossen, und so erklärte ich endlich:
„Nun gut, ihr sollt euern Willen haben; ich will euch bis an die Grenze von Neu-Mexiko begleiten, tue das aber nur unter einer Bedingung.“
„Welche ist das?“ fragte Jim.
„Daß ihr euch möglichst nach mir richtet und nichts unternehmt, ohne mich vorher zu fragen.“
Jim zögerte, auf diese Forderung einzugehen. Er hielt sich für einen tüchtigen Westmann und glaubte, daß es gegen seine Ehre sei, sich so aller Selbständigkeit zu begeben. Dafür ließ sich aber sein Bruder sofort hören:
„Das versteht sich doch ganz von selbst! Wenn Old Shatterhand bei uns ist, haben wir unsern Willen dem seinigen zu unterordnen.“
Dschafar war gern einverstanden; die beiden Diener hatten nichts zu sagen; Perkins wußte, wie er gefehlt hatte, und widersprach nicht; die andern beiden Scouts waren überhaupt bescheidene Leute, die sich freuten, aller Verantwortlichkeit enthoben zu sein; sie stimmten sehr gern ein, und so sah Jim sich schließlich zu der Bemerkung gezwungen:
„Habe auch nichts dagegen, hoffe aber, daß wir, wenn es sich um etwas Wichtiges handelt, auch mit zu Rate gezogen werden!“
„Dieses Verlangen braucht Ihr gar nicht zu stellen. Ich habe keineswegs die Absicht, wie ein absoluter Fürst oder gar wie ein Tyrann über euch zu herrschen; wir stehen einander gleich; keiner soll mehr gelten als die andern, doch glaubte ich, daß es besser sei, wenn wir im Augenblick einer Gefahr nicht vielköpfig handeln, und da muß es also einen geben, nach dem sich die andern richten. Als diesen habe ich mich vorgeschlagen, gebe aber zu, daß auch ein jeder von euch das Recht hat, sich in Vorschlag zu bringen. Wollt Ihr der Anführer sein, Jim?“
„Nein, danke Sir! Mag nichts zu verantworten haben; dachte nur, daß ich auch einen Mund besitze, zuweilen ein Wort mitzusprechen. Also Ihr seid überzeugt, trotz der Nacht den rechten Weg zu finden?“
„Ja.“
„Und wie lange reiten wir? Etwa in einer Tour fort bis zum frühen Morgen?“
„Nein. So eine Anstrengung darf ich euch nicht zumuten. Ihr seid gefesselt gewesen und habt jedenfalls nicht viel geschlafen.“
„Das ist richtig; wenigstens ich habe das Auge keinen Augenblick geschlossen und muß gestehen, daß ich heut unbedingt eine Stunde oder zwei schlafen muß.“
„Ihr sollt noch länger schlafen. Wir reiten nur so weit, bis wir annehmen können, daß wir morgen vor den Comanchen sicher sind.“
„Ah! Ihr traut ihnen also nicht?“
„Nein.“
„Trotz der Friedenspfeife, welche geraucht worden ist?“
„Trotz derselben. Die Worte des Häuptlings, die er mir zuletzt zurief, sollten wirklich eine Drohung sein.“
„Dachte es mir! Er behauptete, daß Ihr etwas doch noch nicht wüßtet. Wenn man nur erraten könnte, was er gemeint hat!“
„Ich brauche es nicht erraten, denn ich weiß es schon.“
„Wirklich? Was ist es denn?“
„Wir haben mein Calumet geraucht, aber nicht das seinige.“
„Macht dies denn einen Unterschied?“
„Eigentlich nicht. Zwischen ehrlichen Leuten ist es ganz gleich, ob die eine oder die andere Partei das Calumet liefert, welches geraucht wird. Hat aber der Rote eine Heimtücke im Nacken, so gibt er nicht seine Friedenspfeife zu der Zeremonie her, sondern es wird diejenige seines Gegners geraucht. Dann gebraucht er gegebenen Falls die Ausrede, daß ein Übereinkommen nur dann Geltung besitze, wenn er es mit seinem eigenen Calumet besiegelt habe. Der Treubruch, den er gleich von vornherein
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