Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
gegeben und wünschte also wahrscheinlich, daß seine unerklärliche Besteigung des Felsens geheim bleiben solle. Der Wächter wußte also nicht, ob er zu schweigen oder das Lager zu alarmieren habe.
    Während er sich in diesem Zweifel befand, band ich To-kei-chun vom Lasso los und schnürte ihm die Füße zusammen und die beiden Arme an den Leib. Dabei kam er leider zu sich. Beim Stilliegen wäre er wahrscheinlich länger bewußtlos geblieben, aber indem ich ihn emporzog, war er mit dem Gestein in eine Berührung gekommen, welche die Betäubung, in der er sich befand, abkürzte. Noch hatte ich seine Arme nicht ganz festgebunden, da bewegte er sich. Daß ihm seine Gliedmaßen nicht gehorchten, brachte ihn noch schneller zur Besinnung, und er öffnete die Augen. Ich war über ihn gebeugt und hatte mein Gesicht so nahe an dem seinigen, daß er mich trotz der Dunkelheit grad in dem Augenblick erkannte, als der untenstehende Wächter, noch immer mit sich im unklaren, abermals, doch mit unterdrückter Stimme herauffragte:
    „Warum antwortet To-kei-chun nicht? Wie ist er da hinaufgekommen, und was will er oben? Soll vielleicht niemand wissen, daß er sich entfernt?“
    Da schrie der Häuptling mit weithin schallender Stimme:
    „Old Shatterhand ist da, Old Shatterhand! Er hat mich entführt und gefesselt; helft, helft! Lauft schnell um die Ecke des – – –“
    Ich drückte ihm die linke Hand fest auf den Mund, setzte ihm mit der rechten das Messer auf die Brust und raunte ihm drohend zu:
    „Schweig! Sag noch ein Wort, so ersteche ich dich!“
    Er wußte, daß ich das nicht tun würde, denn erstens kannte er mich als einen Feind jedes unnützen Blutvergießens, und zweitens durfte ich ihn nicht töten, wenn ich mich seiner als Geisel bedienen wollte. Es kam ihm darauf an, seinen Leuten zu sagen, wie sie sich zu verhalten hatten, und das war für ihn nicht unmöglich, weil er den Kopf bewegen konnte. Indem er ihn schnell aufeinander von einer Seite nach der andern drehte, bekam er den Mund frei; ich verschloß ihm denselben zwar schnell wieder mit der Hand, doch kam er immer wieder von derselben los, und so gab es eine Reihe von Momenten, in denen sein Mund bedeckt und unbedeckt war, und er benutzte jeden der letzteren Augenblicke, um in wiederholten Unterbrechungen hinunterzuschreien:
    „Lauft um die Ecke – – – bis wo man – – – herauf kann – – – ich liege – – hier auf – – – ich liege – – – hier auf – – – dem Felsen – – – und – – –“
    Weiter ließ ich ihn nicht kommen. Ihm jetzt einen Knebel in den Mund zu stecken wäre unmöglich gewesen, weil er die Zähne fest zusammengebissen hätte; ich mußte ihn wieder betäuben, was durch einen tüchtigen Fausthieb geschah.
    Die Comanchen waren natürlich alle wach geworden. Es wäre mir sehr lieb gewesen, wenn sie, wie ich von ihnen als Indianer eigentlich erwartete, geschrien hätten; aber sie verhielten sich klugerweise zunächst so ruhig, daß sie jedes Wort ihres Häuptlings verstanden. Da ich ihm immer den Mund wieder bedeckte, so klangen seine Rufe außerordentlich gefährlich; das versetzte sie in Aufregung und darum ließen sie, als er nun schwieg, ein Wutgeheul hören, wie man es von menschlichen Lippen für unmöglich halten sollte. Ich hörte, daß sie nach der Richtung liefen, welche er ihnen angegeben hatte. Es lag mir selbstverständlich daran, daß sie seinen Befehl nicht ausführten; darum rief ich, ihr Geschrei übertönend, hinunter:
    „Halt! Bleibt stehen, und hört, was ich euch sage!“
    Ich horchte; es war nichts zu hören; sie standen also still, und ich fuhr fort:
    „Ich bin Old Shatterhand und habe To-kei-chun gefangen genommen. Bleibt ihr ruhig hier im Lager, so wird ihm nichts geschehen; kommt ihr aber herauf, so ersteche ich ihn. Ich will das gefangene Bleichgesicht frei haben. Wenn es Tag geworden ist, werdet ihr hören, was ich von euch und eurem Häuptling verlange!“
    Für kurze Zeit herrschte die tiefste Stille unten; sie überlegten. Dann hörte ich eine Stimme:
    „Uff! Old Shatterhand tötet keinen wehrlosen Gefangenen. Meine Brüder mögen tun, was To-kei-chun befohlen hat!“
    „Uff, uff, uff, hiiiiiiiiiih!“ antworteten ihm die andern, indem sie das Kriegsgeheul erschallen ließen, und ich hörte daß sie fortrannten.
    Die Lage, in der ich mich befand, war nicht beneidenswert. Es war richtig: ich hatte nicht die Absicht, mich an dem Leben des

Weitere Kostenlose Bücher