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20.000 Meilen unter den Meeren

20.000 Meilen unter den Meeren

Titel: 20.000 Meilen unter den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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die auf breiter granitener Basis ruhten.
    Jetzt fiel der Boden vor uns steil ab, ich erkannte die Öffnung eines Schachtes. Nemo ließ sich als Erster hinab, wir folgten. Der Schacht war nicht sehr tief. Auf seinem kreisrunden Boden, etwa 20 m im Durchmesser, lagen einige Felsblöcke im Sand. Und auf einem dieser Felsblöcke war eine Auster von abenteuerlicher Größe festgewachsen, ausladend wie ein prachtvolles Taufbecken, über 2 m im Durchmesser. Die beiden Schalen waren halb geöffnet. Ich schätzte das Gewicht des Tieres auf 300 kg, davon 15 kg Fleisch – eine Größenordnung, wie sie Gargantua willkommen gewesen wäre.
    Nemo trat jetzt vorsichtig an das Tier heran und stellte dann mit einer raschen Bewegung sein Messer zwischen die Schalen, damit sie sich nicht schließen konnte. Darauf winkte er uns heran. Er hob mit einer Hand die Fransen am Rand des Tieres hoch und ließ uns hineinsehen. Und drinnen in den fleischigen Falten lag eine Perle von der Größe einer Kokosnuss. Sie war kugelrund, makellos, von wunderbarer Klarheit und reinem Wasser, wenn ich das in dieser Beleuchtung richtig erkannt habe, ein Stück von unschätzbarem Wert.
    Ich streckte meine Hand aus, um sie zu berühren. Aber der Kapitän fiel mir in den Arm, zog sein Messer zwischen den Schalen hervor und machte eine verneinende Bewegung mit der Hand. Ich begriff, dass dieses Tier mit seiner Perle den persönlichen Schutz des Kapitäns genoss, damit es Jahr für Jahr weitere Ringe um den Fremdkörper in seinem Fleisch bilden konnte, bis er groß genug war, um als unüberbietbare Naturmerkwürdigkeit ins Museum des Kapitäns einzugehen. Denn als Schmuck war dieses Exemplar nicht mehr zu verwenden. Welche Frau würde sich schon eine Kokosnuss, wenngleich im Wert von vielleicht 10 000 000 Franc, umhängen lassen? Wir begaben uns jetzt wieder auf den Rückweg, jeder für sich, jeder nach Belieben und Neugier schauend, lernend. Nach zehn Minuten Marsch aber blieb der Kapitän Nemo plötzlich stehen und hob die Hand. Im nächsten Augenblick befahl er, sich zu verstecken.
    Wir benutzten die Schattenseiten verschiedener Felsvorsprünge und gingen dahinter in Deckung. Er zeigte mit dem Finger auf einen dunklen Gegenstand, der auf uns zukam. Haifische? Der Schatten wuchs und dann sah ich, was es war: ein Mensch.
    Dieser dunkelhäutige Inder war sicher ein armer Teufel, denn was sonst konnte ihn dazu treiben, schon vor der allgemeinen Perlenernte ein wenig auf Beute zu gehen? Er tauchte mit einem kegelförmig zugehauenen Stein an den Füßen, den er nach jedem Emporkommen an einem Strick wieder bis in sein Boot zog. Wir beobachteten ihn lange. Er blieb jedes Mal nur 30 Sekunden auf dem Meeresboden, raffte rasch alle Muscheln zusammen, die er zu fassen bekam, und stopfte sie in sein Beutesäckchen, dann schoss er wieder nach oben. Uns konnte er nicht sehen und es war wohl kaum anzunehmen, dass er hier unten Menschen vermutete. Eine halbe Stunde lang führte er diese Tauchgänge durch, deren jeder ihm vielleicht ein Dutzend Austern einbrachte.
    Da plötzlich sah ich ihn entsetzt vom Boden hochspringen, er ließ seinen Beutel fallen und strebte an die Oberfläche. Über ihm erschien der riesige Schatten eines Hais, der sich sofort mit einem kräftigen Flossenschlag auf den Inder stürzte.
    Der wich dem Biss zwar aus, erhielt aber einen Schlag mit der Schwanzflosse, der ihn zu Boden warf. Jetzt drehte der Hai und machte Anstalten, sein Opfer zu zerfetzen und herunterzuwürgen – da sprang der Kapitän vor.
    Ja, es ist wahr: Plötzlich stand Nemo mit dem Messer in der Hand neben dem Inder und erwartete den Angriff des Hais. Das Tier stürzte sich auf den neuen Gegner, Nemo stand gespannt, aber kaltblütig da, bog sich in dem Augenblick, als der riesige Fisch heran war, zur Seite und bohrte ihm den Dolch in den Bauch. Sofort schoss Blut hervor, der Hai wurde wütend, bäumte sich auf und warf sich zurück auf den Kapitän; beide Kämpfer wurden vom rot gefärbten Meer verschlungen. Als ich sie für einen Augenblick an einer lichten Stelle im Wasser sehen konnte, klammerte sich der Kapitän an einer Flosse des Tieres fest und stach ihm unablässig den Dolch in den Bauch, aber er traf das Herz nicht. Dann drückte ihn die Masse des Tieres nieder, er wehrte sich verzweifelt und er wäre wahrscheinlich unterlegen, wenn nicht plötzlich Ned Land mit seiner Harpune einen meisterhaften Stich getan hätte. Der Eisenpfeil traf das Tier genau ins Herz, die

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