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20.000 Meilen unter den Meeren

20.000 Meilen unter den Meeren

Titel: 20.000 Meilen unter den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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morgens Mokka passiert hatten, wechselte die Nautilus zur afrikanischen Küste des Roten Meeres hinüber, wo der Grund bedeutend tiefer liegt. Der Kapitän tauchte ausgiebig mit offenen Fenstern vor diesen prachtvoll bewachsenen Küsten. In den Stunden, die ich im Salon verbrachte, folgte ich einem unbeschreiblichen Schauspiel, einem mannigfaltigen Wechsel von unterseeischen Landschaften und Wänden, und das alles wirkte wie ein Zauber auf mich. Und zum ersten Mal beobachtete ich auch Schwämme, über deren Organisation (ob Einzeltier, ob in Stämmen lebend) die Naturforscher sich noch lange nicht einig sind. Ich sah diese Arten in allem ihrem Formenreichtum, gestielt, rund, blattförmig, gefingert, und mir fielen die fantasievollen Namen ein, die ihnen die Fischer geben: Korb, Kelch, Spindel, Elenhorn, Löwenfuß, Pfauenschweif, Neptunshandschuh.
    Am 9. Februar passierten wir die breiteste Stelle des Roten Meeres zwischen Suakin und Al Qunfidah; ich beobachtete von der Plattform unseres Fahrzeugs aus und gegen Mittag gesellte sich der Kapitän zu mir.
    »Na, Herr Professor, haben Sie schön studiert?«, fragte er.
    »Ja und ich danke Ihnen, Kapitän«, antwortete ich. »Zum ersten Mal konnte ich den Formenreichtum der noch nicht ganz aufgeklärten Gruppe der Schwämme beobachten: gestielt, rund, blattförmig, gefingert, und mir fielen …«
    »Und wie gefällt Ihnen dieses Rote Meer?«
    »Tja, wie soll ich sagen: gut, doch, doch. Besonders an Bord der Nautilus gefällt mir’s gut in diesem Meer, denn ich glaube, dass seine gefährlichen Stürme Ihrem Fahrzeug nichts anhaben können.«
    »Da haben Sie recht. Edrisi, der arabische Historiker, berichtet von unzähligen Schiffbrüchigen in diesem Meer. ›Es hat nichts Gutes, weder oben noch unten‹, schreibt er. Arrian, Agatharchides und Artemidorus waren der gleichen Meinung.«
    »Ich schließe mich dieser Meinung nicht an, wie Sie sich denken können, denn ich habe, besonders unten, viel Nützliches gesehen. Aber Sie müssen bedenken, dass die alten Historiker über andere Schiffe sprachen, als Sie es besitzen. Und auch die neueren Beschreiber dieses Meeres würden seine Gefahren relativieren, wenn sie es mit diesem Schiff befahren könnten. Sie sind Ihrer Zeit voraus.«
    »Da haben Sie wieder recht. Wer weiß, ob es nicht noch 100 Jahre dauert, bis eine zweite Nautilus durch die Weltmeere fährt.«
    »Vielleicht sogar mehrere Jahrhunderte!«, sagte ich lebhaft. »Und deshalb ist es ja so schade, dass dieses Geheimnis mit seinem Erfinder wieder von der Erde verschwinden soll.«
    Der Kapitän Nemo dachte gar nicht daran, mir auf diese, zugegeben reichlich plumpe, Anspielung zu antworten.
    »Wissen Sie übrigens, warum das Rote Meer das Rote Meer heißt?«, fragte er.
    »Nein.«
    »Sicherlich nicht deshalb, weil es nach Pharaos Tod rot geworden ist als Zeichen für das von Moses bewirkte Wunder. Aber es hat schon etwas mit den Israeliten zu tun. ›Edrom‹ ist das hebräische Wort dafür und diesen Namen haben ihm die Alten gegeben, weil sie wohl, genau wie ich, gesehen haben, dass dieses Meer an manchen Stellen rot ist wie ein See von Blut. In der Bai von Tor zum Beispiel. Dort färbt sich das Wasser mit einem schleimigen purpurfarbenen Stoff, der aus mikroskopisch kleinen Pflänzchen besteht – Trichodesmion –, von denen 40 000 auf 1 mm2 gehen.«
    »Ich sehe, dass Sie sich in Ihrem Roten Meer gut auskennen. Sie sprachen vorhin vom Untergang der Ägypter bei der Verfolgung der Juden: Sind Sie an dieser Furt mal getaucht und haben Sie Überreste gefunden?«
    »Nein, denn an dieser Stelle ist der Boden so versandet, dass nicht mal mehr Kamele ihre Füße drin baden können. Aber wenn man da mal nachgraben würde, etwas unterhalb von Sues, kämen sicher eine Menge ägyptischer Waffen und Ausrüstungen zutage. Vielleicht bringt der Durchstich, den Ihr Landsmann, der Herr Lesseps, bei Sues durchführt, neues Leben an diese Küsten, und auch ein paar tüchtige Archäologen.«
    »Da bin ich sicher.«
    »Schon die Alten«, sagte der Kapitän bedächtig, »wussten, wie wichtig die Handelsverbindung zwischen Mittelmeer und Rotem Meer war. Aber sie stachen keinen Kanal, sondern benutzten den Nil, so weit es ging. Der Kanal vom Nil zum Roten Meer soll unter Sesostris begonnen worden sein. Fest steht das Datum 615 v. Chr., da begann Necho mit den Arbeiten zu einem Kanal vom Nildelta ins Rote Meer. Der war so breit, dass sich zwei Dreiruderer darin ausweichen konnten. Darius

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