2001 Himmelsfeuer
hätte liebend gern 25 Cent für jeden ›Grafen‹, ›Baron‹ und ›Prinzen‹ in San Francisco genommen, von denen die meisten nur Schwindler waren. Seiner Meinung nach lebte die Hälfte der Männer hier sowieso unter falschem Namen.
»Oh«, rief sie aus, als sie die Pferdekutsche erblickte. »Ist es weit nach Sacramento?«
»Wir fahren nicht mit der Kutsche nach Sacramento. Nur bis zur Anlegestelle, dann geht es mit dem Dampfer flussaufwärts weiter.«
Während Seth auf der Suche nach einem anständigen Hotel für Miss D’Arcy durch Sacramentos Straßen kutschierte, dankte Angelique dem Himmel, dass sie den Dampfer hinter sich gelassen hatten. Mr. Hopkins’ Ankündigung, sie würden mit dem Schiff über Nacht flussaufwärts reisen, hatte in Angelique die Vorstellung von einer gemütlichen Kabine geweckt, wo sie endlich ihr Korsett ablegen, vielleicht sogar ein Bad nehmen und sich Tee bringen lassen konnte. Die Reise von Mexiko hierher war ein einziger Albtraum gewesen. Als Angelique sich in Acapulco auf der
Betsy Lain
einschiffte, war das Schiff nach Boston bereits hoffnungslos überfüllt gewesen. Die Nachtfahrt auf dem Dampfer hatte sich jedoch als noch größerer Albtraum herausgestellt. Weil alle Kabinen bereits besetzt waren, hatten sie und Mr. Hopkins auf Deck inmitten ihrer Habe schlafen müssen – zusammen mit Hunderten anderer Menschen – die meisten von ihnen Männer – ja sogar mit Pferden, Eseln und Schweinen! Nur der Gedanke an ihren Vater hatte sie durchhalten lassen. Papá würde alles wieder in Ordnung bringen. Er hatte sich immer um sie gekümmert und würde es auch jetzt wieder tun.
Sacramento war eine junge, aufstrebende Stadt am Zusammenfluss zweier Flüsse. Angelique, die aus einer dreihundert Jahre alten Stadt kam, die ihrerseits auf den Ruinen einer noch älteren Siedlung stand, staunte darüber, dass Sacramento noch vor einem Jahr lediglich eine Zeltstadt und davor ein Indianerdorf gewesen war. Jetzt gab es hier Ziegelbauten, Holzhäuser, Kirchtürme und sauber gepflasterte Straßen. Aber ein Hotel oder eine Pension für sie zu finden stellte sich als äußerst schwierig heraus.
Nachdem er bereits eine Stunde lang in dem gemieteten Pferdewagen herumkutschiert war und nicht ein Hotel, nicht eine Pension Gnade vor ihm fand, wurde Seth klar, dass er Miss D’Arcy hier ebenso wenig sich selbst überlassen konnte wie in San Francisco. In den Fenstern verkündeten Schilder: »Mexikaner oder Fremde brauchen nicht erst anzufragen.« Und die Leute starrten dreist und, wie Seth fand, ziemlich ungeniert auf dieses höchst ungleiche Paar – er in einem grobgewirkten Hemd und Nietenhosen, die Dame an seiner Seite in einem schillernden blaugrünen Gewand, das einfach nicht Farbe bekennen mochte. Er konnte sich gut vorstellen, was in den Köpfen der Leute vorging, und befürchtete, dass Angeliques Ansehen als attraktive junge Frau ohne Begleitung in Frage gestellt würde. Er durfte sie nicht im Stich lassen. Obwohl sie in
seiner
Schuld stand, fühlte er sich für sie verantwortlich. Es gab nur eine Lösung. In Devil’s Bar wäre sie besser aufgehoben und, wie er sich selber einredete, näher an den Gerüchten, die sie zu ihrem Vater führen würden.
»Im Lager gibt es einige anständige Frauen«, meinte er. »Ich bin sicher, eine von denen wird Sie gerne aufnehmen.«
Angelique akzeptierte gnädig. Während sie kerzengerade an Seth Hopkins’ Seite saß und sich auf ein heißes Bad, eine richtige Mahlzeit und ein schönes, sauberes Bett freute, musterte sie verstohlen das Gesicht eines jeden Mannes auf der Straße und stellte sich das freudige Wiedersehen mit ihrem Vater vor. Sie dachte an die Geburtstagsfeiern, als sie noch klein war und ihr Papá ihr eine Krone und einen Thron gebastelt hatte. Und als sie dann erwachsen war, hatte er ihr sogar den Ehemann ausgesucht, was kein gewöhnlicher Mensch machen würde. Einen D’Arcy, einen entfernten Verwandten, der versprechen musste, Angelique in der für sie gewohnten Art zu behandeln. Und genau das hatte Pierre getan, bis zu jenem Tag, da er durch die Hand amerikanischer Soldaten fiel.
»Wirst du zu deiner Familie nach Los Angeles gehen?«, hatte Pater Gomez sie am Tag ihrer Abreise von Mexico City gefragt.
Angelique hegte jedoch keinerlei Absicht, die Familie ihrer Mutter aufzusuchen. Wie oft hatte sie während ihres Heranwachsens mit anhören müssen, wie schäbig Großvater Navarro ihren Vater behandelt hatte. Nein, sie
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