2001 Himmelsfeuer
Saphirblau. Seth wurde bei diesem Anblick an Pfauenfedern erinnert, an Schmetterlingsflügel oder an Gezeitentümpel an einem Sommertag. Der Effekt war hypnotisierend.
Die Frau versuchte nun offenbar, dem Zahlmeister etwas zu erklären. Als der Wind umsprang, konnte Seth ihre Worte hören, die mit einem harten, spanischen Akzent gesprochen wurden. »Ich habe gesagt, Señor Boggs wird meine Passage bezahlen.«
Der Zahlmeister, ein rotgesichtiger Mann mit einem kurzsichtigen Zwinkern, überflog die Menge. »Sehe keinen Boggs. Ist wohl auswärts. Sorry, Lady, ich muss Ihre Passage kassieren. Ich muss Sie einem der Männer da überlassen.«
»Was soll das heißen, ›überlassen‹?«
»Jeder, der bereit ist, Ihre Passage zu bezahlen, kann Sie mitnehmen. Sie sind sein Eigentum, bis Sie Ihre Schulden abbezahlt haben.«
Sie reckte das Kinn, und Seth sah dunkle Augen aufblitzen. »Ich bin keine von der Sorte, Señor, und wenn mein Mann noch am Leben wäre, würde er Sie zum Duell fordern, um meine Ehre zu verteidigen.«
Der Zahlmeister zeigte sich unbeeindruckt. »Die Vorschriften der Reederei, Lady. Ich muss die vollen Kosten für jeden Passagier kassieren. Woher sie bezahlt werden, ist nicht meine Sache. Aber ich muss sie hier in mein Hauptbuch eintragen.«
»Dann wird mein Vater bezahlen.«
Der Zahlmeister rümpfte die Nase. »Und wo könnte der sein?«
»Nun … im Moment kann ich das nicht sagen. Er ist hier.«
»Wo?«
»In Kalifornien.«
Der Mann wurde ärgerlich. »Hören Sie, Boggs ist nicht da, also muss ich die Schiffspassage von einem dieser Männer da kassieren. So sind nun mal die Vorschriften.« Er packte sie am Arm.
»Das können Sie nicht tun, Señor!«
»Hören Sie, Lady. Ich sehe keinen Boggs und habe keine Zeit. Muss die Belege bis Mittag der Reederei aushändigen.«
»Nehmen Sie Ihre Hände weg!«
Der Zahlmeister überflog die Passagierliste. »Ihr Name ist D’Arcy? Mal herhören, Gentlemen! Hier haben wir eine echte Französin. Heißt
Dörzii
! Wer bietet was?«
»Auf so eine hab ich grad gewartet«, murmelte einer der Männer. »He, Süße«, rief er. »Lüpf mal den Rock und zeig uns deine Fesseln!«
Seth erklomm seinen Wagen und griff nach den Zügeln. Eines hatte er im Gefängnis gelernt, dass das Leben nicht fair war. Und dass es klüger war, sich nicht in anderer Leute Angelegenheiten zu mischen. Außerdem gehörte die Frau bereits Boggs. Sie wusste also, worauf sie sich einließ.
Doch irgendetwas hielt ihn zurück. Seth drehte sich noch einmal nach der Frau um. Der Zahlmeister hatte sich einen Moment von ihr abgewandt, um einen Streit zwischen zwei Käufern zu schlichten. Boggs, dachte Seth. Er kannte den Mann. Cyrus Boggs war vor zwei Jahren als Priester auf der Bildfläche erschienen, hatte sich dann jedoch einträglicheren Geschäften zugewandt. Derzeit besaß er ein Bordell in der Clay Street und war bekannt dafür, unbescholtene junge Frauen mit Zeitungsannoncen als Lehrerinnen oder Kindermädchen nach San Francisco zu locken, wobei er ihnen anbot, ihre Überfahrt zu bezahlen. Bei ihrer Ankunft sperrte er sie dann in seinen Puff – in winzigen, fensterlosen Kabuffs mussten die hilflosen Frauen bis zu dreißig Männern am Tag zu Diensten sein.
Mit einem Seufzer ließ Seth die Zügel sinken, sprang vom Kutschbock und ging zu der Frau zurück. »Entschuldigen Sie, Lady. Habe ich richtig gehört, Sie erwähnten Boggs?«
»Sí«, sagte sie und kramte in ihrem Täschchen. Seth bemerkte, dass sie kleine Hände hatte, ihre Handschuhe waren aus feinstem Glacé. »Als mein Mann tot ist«, fuhr sie fort, »nimmt die Regierung unsere Farm wegen Steuern. Ich besitze kaum noch etwas. Und dann sehe ich das.« Sie reichte Seth einen Zeitungsausschnitt.
»Tut mir Leid, ich kann kein Spanisch. Was steht drin?«
»Es ist ein, wie sagt man bei Ihnen,
anuncio.
Dieser Mann sagt, er sucht Lehrerin für junge Damen. Hier ist sein Name und Adresse. Ich schreibe ihm einen Brief.« Sie förderte ein zusammengefaltetes Blatt Papier zutage. Seth las die falschen Versprechungen, die es enthielt.
Er reichte ihr den Brief zurück. »Dieser Brief und die Anzeige sind reiner Schwindel. Boggs hat Sie unter falschen Versprechungen hierher gelockt.«
Die Frau blickte ihn verständnislos an. Er sah dunkle Augen mit einem schwarzen Wimpernkranz und schwarze Locken, die sich unter dem Schutenhut lösten.
Er räusperte sich. Er wusste nicht, wie er diese heikle Angelegenheit erklären sollte. »Boggs
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