2001 Himmelsfeuer
in der Hoffnung, hier ein neues Leben beginnen zu können. Manche Frauen waren auf der Flucht vor ihrem Mann, andere auf der Suche nach einem Mann. Die einen kamen, um sich hier zu verlieren, die anderen, um sich hier zu finden. In Kalifornien war alles möglich. Das Land und seine Ressourcen waren grenzenlos und Gold für jedermann zu gewinnen. Und am wichtigsten von allem, es gab keine gesellschaftlichen Regeln, keinen Status. Hier galt ein Bauer so viel wie ein König, solange er Geld besaß. Keiner stellte irgendwelche Fragen. Hier konnte ein Mann sogar dem Stigma des Ex-Sträflings entkommen.
Mit Widerwillen sah Seth zu, wie die weiblichen Passagiere der
Betsy Lain
wie Vieh in einen mit Tauen abgezäunten Bereich auf der Pier getrieben wurden, wo man sie zwischen Frachtstücken, Gepäck und Kisten pferchte, während eine wachsende Horde Männer sich um sie scharte und begierig auf den Beginn der Versteigerung wartete. Viele von ihnen waren Betreiber von Bordellen, Fandango-Bars, Spielhöllen und Tanzschuppen. Sie suchten sich immer die jüngsten und hübschesten Frauen aus und zwangen sie zur Prostitution, bis sie ihre Schulden bezahlt hatten. Es gab aber auch redliche, hart arbeitende Männer in der Menge, Minenarbeiter und Pelztierjäger, die sich einsam fühlten und nach einer liebevollen weiblichen Hand verlangten. Eine anständige Heirat war das, was diese Männer anboten.
Mit seinen zweiunddreißig Jahren war Seth Hopkins nie verheiratet gewesen, und er verspürte den Wunsch dazu auch nicht. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass der Ehestand nur eine andere Form der Knechtschaft war. Ihm behagte das einsame Leben zwischen Wald und grünen Wiesen, solange er nur weit genug von den Kohlengruben Virginias weg war.
Er wandte sich wieder seinem Wagen zu und zurrte die aufgetürmten Vorräte mit Stricken fest. Ihm missfiel das Chaos im Hafen von San Francisco, wo quiekende Schweine verladen wurden, wo Rinder blökten und Hunde bellten, wo Karren und Wagen vorüberknarrten, Menschen brüllten, stritten und feilschten und Pferde mit lautem Hufgetrappel überall ihren Mist fallen ließen. Die Luft war von Rauch durchzogen und von dem beißenden Gestank stehender Gewässer und verrotteten Fischs erfüllt, was die sommerliche Mittagshitze unerträglich machte. Seth wollte so schnell wie möglich zurück in sein Camp, wo die Luft sauber und klar war und wo man seine eigenen Gedanken hören konnte.
Der Kapitän des Klippers, ein untersetzter, bulliger Mann in blauer Seemannsuniform, erklomm einen Holzblock und eröffnete die Versteigerung. Er zeigte auf die erste Frau in der Reihe, eine kräftige Vierzigjährige, die zornig und ängstlich zugleich um sich blickte. »Diese da schuldet mir fünfzig Dollar. Wer bietet fünfzig Dollar?«
Mrs. Armitage, in der Seth die Besitzerin des Armitage Hotels in der Market Street wiedererkannte, rief: »Kann sie kochen? Ich brauche eine Köchin!«
»Ist ’ne Näherin dabei?«, rief eine andere Frau. »Ich zahl ’nen Spitzenpreis für jede, die mit Nadel und Faden umgehen kann!«
Ein Pferdegespann hielt an, und eine Gruppe von zwölf bunt gekleideten Frauen, die sich abseits gehalten hatten, stieg fröhlich ein. Seth wusste, dass sie für Finch’s Fandango-Bar und sein darüber liegendes Bordell bestimmt waren. Ein Mann mit dem verwitterten Gesicht eines Goldgräbers drängte sich durch die Menge und rief: »Wie viel für die Blondine da? Ich brauch ’ne Frau, und zwar schnell!« Die Menge johlte.
Die Frauen wechselten ebenso rasch den Besitzer wie das Geld und ebenso schnell, wie die Gebote fielen. Einige Frauen gingen freiwillig, andere sträubten sich, wieder andere weinten sogar. Seth wollte gerade seinen Kutschbock erklimmen, da fiel sein Blick auf eine Frau, die sich von den übrigen unterschied. Sie hatte sich nicht mit den anderen in einer Reihe aufgestellt, sondern saß kerzengerade auf ihrem großen Reisekoffer, die Hände im Schoß gefaltet. Ihr Gesicht wurde vom Rand der riesigen, mit Federn besetzten Schutenhaube beschattet, die mit Bändern unter dem Kinn befestigt war. Es war jedoch ihr Kleid, das Seths Aufmerksamkeit erregte. Noch nie zuvor hatte er Seide von so einer Farbe gesehen – oder besser gesagt, solchen
Farben,
denn sie changierte mit jeder Bewegung der Dame oder wenn eine Brise vom Meer das Material erfasste. Wenn sie einatmete, schillerte das Oberteil von meergrün bis türkis, wenn sie aufstand, verwandelte sich das Dunkelblau des Rocks in
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