2001 - Odysee eines Mutanten
mühsam hervor. „Was bist du nur für ein Scheusal, Trim!" Und sie umarmte ihn, voller Zorn und Erleichterung zugleich.
*
Trims Zustand besserte sich rasch, nachdem er sich entschlossen hatte, ins Leben zurückzukehren.
„Das war nicht leicht für mich", versuchte er seiner Mutter zu erklären. „Ich habe gedacht, für mich alles leichter zu machen und niemandem mehr zu schaden, wenn ich mich totstelle."
Seine Wortwahl ließ Elara erschauern. Der Ausdruck war ihr natürlich aus dem Tierreich geläufig, aber auf ihren Sohn bezogen war er so treffend wie makaber. Sie überspielte das.
„Und an mich hast du dabei wohl überhaupt nicht gedacht", klagte Elara.
„Verzeih, Ma..."
Aber was hatte sie ihm denn zu verzeihen? Er hatte alles wiedergutgemacht, indem er sich dafür entschied, aus seinem Schneckenhaus hervorzukommen. Es dauerte aber weitere zwei Monate, bis Trim wieder jenen psychischen und physischen Standard wie vor seinem Zusammenbruch erreichte.
Elara schaffte es sogar, ihn dazu zu bringen, wieder zur Schule zu gehen. Aber nach ein paar Tagen, die wegen der Sticheleien seiner Mitschüler für Trim die Hölle gewesen sein mußten, sah Elara ein, daß es für ihn besser war, sich mit der Fernschulung zu begnügen. Das erleichterte sogar den Schuldirektor.
Selbst Elaras Ehe schien sich zu normalisieren. Netah blieb wieder öfter zu Hause, versicherte Elara seiner Liebe und seiner Hochachtung für ihren starken Charakter und verbrachte viel Zeit mit Trim. Aber der Vater kam dem Sohn nicht näher, das merkte Netah sehr wohl; sie lebten in zu verschiedenen Welten. Netah beklagte sich bei seiner Frau immer wieder darüber, daß sich Trim ihm eigentlich entfremde, je mehr er sich um ihn bemühte.
Elara konnte Netah nur bitten, mit Trim Geduld zu haben.
Selbst Elara schaffte es nicht, Zugang in Trims Welt zu finden, aber sie wußte wenigstens, warum das so war. Ihr Sohn hatte das Bedürfnis, andere vor sich selbst beschützen zu müssen. Das war der Grund, warum er Rosa fortan aus dem Weg ging. Das Mädchen litt am ärgsten darunter, aber Kinder dieses Alters haben die glückliche Eigenschaft, schneller über alles hinwegzukommen.
Trotz allem schien das Leben der Familie Marath ins Gleichgewicht zu kommen. Trim hatte keine „Anfälle" mehr, wie Netah es nannte, und er erweckte in keiner Weise das öffentliche Interesse.
Doch eines Tages geriet das von Elara mühsam aufrechterhaltene Idyll in arge Turbulenzen. Eigentlich geschah die Demontage ihrer heilen Welt nicht an einem Tag, sondern erstreckte sich über eine längere Zeitspanne. Doch der Auslöser war ein Bericht über ein überaus merkwürdiges Phänomen.
Auf Terra und anderen Welten der Liga Freier Terraner wurden immer häufiger Menschenkinder mit Anlagen zu parapsychischer Begabung geboren. Betroffen waren fast ausschließlich die Kinder aus Trims Generation, es gab nur wenige Ausnahmen, die wesentlich älter waren.
„Es scheint eine neue Generation von Mutenten mit unterschiedlicher Begabung, aber einem gemeinsamen Kennzeichen heranzuwachsen. Es hat sich herausgestellt, daß alle diese Talente eine angeborene Achromatopsie gemeinsam haben. Sie sind alle farbenblind. Der Volksmund hat für sie auch schon den Begriff geprägt. Er nennt sie Monochrom-Mutanten."
Als Elara das hörte, bekam sie einen Nervenzusammenbruch.
„Gehöre ich nicht auch dazu?" meinte Trim emotionslos. „Ich bin doch ebenfalls ein solcher Monochrom-Mutant."
Elara wollte das nicht wahrhaben. „Nein, mein Schatz", versicherte sie. „Du gehörst nicht in diese Kategorie. Du darfst dich keineswegs als Monochrom-Mutanten einstufen. Du hast keine fest umrissene parapsychische Begabung. Du kannst bloß keine Farben sehen."
„Aber du kannst nicht leugnen, daß ich anders bin als andere Kinder", widersprach Trim.
„Das war vielleicht einmal so, Trim", beharrte seine Mutter mit hartnäckiger Überzeugung, als gelte es, diese ihm und sich selbst einzureden. „Inzwischen bist du zu einem ganz normalen Jungen geworden. Du empfängst nicht mehr diese quälenden Impulse und hast auch keine Visionen mehr. Ist es nicht so, Trim?
„Trim zögerte mit der Antwort, dann sagte er schließlich: „Du hast recht, Ma. Ich bin wohl völlig in Ordnung. Denn ich habe alles im Griff."
„Das ist schön zu hören", sagte Elara dankbar und küßte ihn.
Sie verfolgte weiterhin aufmerksam alle Berichte über die Monochrom-Mutanten. Man hatte inzwischen Tausende von ihnen
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