2008 - komplett
seiner Verwundbarkeit ließ sie ihre Meinung viel schneller ändern, als es jede noch so eindringliche Warnung vor den Unbilden des Wetters je hätte bewirken können.
Joy sah wieder Campion an, der höflich lächelte wie zuvor, und wollte ihn am liebsten geradeheraus fragen, ob ihm seine Familie fehlte. Aber würde der so würdevoll dasitzende Earl eine solche Schwäche zugeben? Sie bezweifelte es, und auf unerklärliche Weise kamen ihr seine eleganten Manieren mit einem Mal ärgerlich vor, als hätte der kurze Blick auf den wahren Campion ihren Appetit auf mehr geweckt.
Sie schaute in seine rätselhaften Augen und wünschte, sie könnte den Mann zu Gesicht bekommen, der sich dahinter verbarg.
„Wir werden nur bleiben, wenn ich mich für Eure Großzügigkeit erkenntlich zeigen kann“, erklärte Joy nach einer Weile. „Ihr habt Euch beklagt, dass es an Grünzeug und Weihnachtsdekoration fehlt. Lasst Roesia und mich einige Bunde an den Wänden entlang aufhängen und Euch bei der Planung der Festlichkeiten helfen, so wie es die Frau Eures Sohnes machen würde, wäre sie jetzt hier.“
„Wenn Ihr das wünscht. Aber Ihr seid nicht an Euer Angebot gebunden“, gab Campion zurück. „Ihr werdet nur so viel machen, wie Ihr wollt, und Marions Platz nur dann einnehmen, wenn das wirklich Euer Wunsch ist.“
Er lächelte sie wieder höflich an, aber Joy fühlte sich eigenartig beunruhigt, als sei die Sache zwischen ihnen nicht zu ihrer Zufriedenheit vereinbart worden.
Womöglich lag es an dem selbstbewussten Lächeln des Mannes, das ihr sagte, er habe keinen Moment an seinen Überredungskünsten gezweifelt. Vielleicht war es aber auch Entsetzen angesichts ihrer ungewohnt impulsiven Zustimmung – einer Entscheidung, die mehr mit Gefühl als mit Verstand zu tun hatte.
Jedoch vermutete Joy, dass es vor allem mit seinen letzten Worten zusammenhing, denn sie wollte als ihm ebenbürtig, aber nicht wie seine Verwandte angesehen werden. Und auch wenn ihr der Grund dafür völlig unklar war, wollte sie erst recht nicht als seine Tochter betrachtet werden.
3. KAPITEL
Der Tag nach Weihnachten begann zu Campions großer Enttäuschung mit einem klaren, wolkenlosen Himmel. Nach der Düsternis der letzten Wochen hätte er sich eigentlich freuen sollen, von Sonnenschein begrüßt zu werden, doch seine Gedanken drehten sich sofort wieder um seinen Gast und ihre Abmachung. Würde Lady Warwick sich daran halten? Sein Instinkt sagte ihm, dass sie zu ihrem Wort stand, doch er merkte ihr auch an, dass sie ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte.
Was macht es schon aus, ob sie bleibt oder weiterzieht?, ermahnte sich Campion, doch er konnte nicht jene besondere Faszination leugnen, die die schöne Lady Warwick auf ihn ausübte. Sie war intelligent und kundig, keine einfältige Jungfrau, sondern eine erwachsene Frau, die zu jedem Thema ihre eigene Meinung hatte und damit auch nicht hinter dem Berg hielt.
Er musste lächeln, als er an die lebhafte Debatte dachte, die sie am Tag des langen Festmahls in seinen faden Saal getragen hatte. Der war mittlerweile schon etwas schöner anzusehen, da Lady Warwick tätig geworden war und vereinzelt Grünzeug aufgehängt hatte, das über den Türen mit farbenfrohen Stoffen festgebunden war.
Und sie hatte ihm versprochen, für noch mehr Dekoration zu sorgen. Er begann leise zu lachen, als er sich daran erinnerte, wie sie seine Söhne drangsalierte, damit die in den Schnee hinausgingen, um für sie Zweige zusammenzusuchen. Stephen hatte gemurrt und sie als den Weihnachtskommandeur bezeichnet, doch Campion bewunderte, wie sie die Führung übernahm, ohne dabei laut oder barsch zu werden.
Ihre sanfte, aber entschiedene Hilfe hätte er das ganze Jahr über gut gebrauchen können.
Der Gedanke ließ ihn innehalten. Seit Marion gegangen war, fehlte ihm die weibliche Note, eine Burgherrin, die ihre eigenen Entscheidungen traf, ohne sich ihm zu unterwerfen. Es war ein müßiger Wunsch, Lady Warwick überreden zu können, auch noch über den Dreikönigstag hinaus zu bleiben, denn sie hatte eine Reise vor sich, die sie schon jetzt lange genug unterbrochen hatte. Außerdem musste sie sich um ihr eigenes Heim kümmern. Warum sollte sie das für Campion aufgeben? Sie konnte auch unmöglich auf Dauer in seiner Burg bleiben, wenn sie nicht Mitglied seiner Familie wurde. Aber ihm missfiel der Gedanke, sie allein zu diesem Zweck mit Stephen oder Reynold zu verheiraten.
Plötzlich verfinsterte sich seine Miene.
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