2008 - komplett
nichts weiter als ein vagabundierender Ritter, der ein paar amüsante Geschichten zu berichten wusste, ein Mann jenseits der Blüte seines Lebens, ein Mann, der ... einfach nichts erreicht hatte.
Im kalten, harten Licht dieses Wintermorgens wurde ihm plötzlich bewusst, dass er sein Leben vergeudet hatte. Mit zweiunddreißig Jahren konnte er nichts vorweisen, abgesehen von einem Pferd, seiner alten Rüstung und einem Satz Kleidung zum Wechseln. Er konnte einer Frau von Katherines bewundernswerten Eigenschaften und Leistungen nichts bieten – rein gar nichts.
Er war ein kläglicher Hofnarr, der eine Prinzessin liebte.
Entschlossen machte er auf dem Absatz kehrt und ging zurück zum Stall. Er und Cassius würden aufbrechen, und zwar sofort. Notfalls würde er neben seinem Pferd hergehen und sein Gepäck selbst tragen.
Auf einmal hörte er jemanden gegen das Tor hämmern. Er blieb stehen und sah zu, wie Dawson aus dem Wachhaus geeilt kam und durch die kleine Luke spähte, um festzustellen, wer da draußen stand. Dann öffnete er das Tor, ein Mann in einem dunklen Gewand ritt langsam auf einem Esel herein. Katherine hatte gesagt, sie erwarte zu Weihnachten keine Gäste, ausgenommen einen Priester. Als der Mann mühselig von dem Esel absaß, stand für Rafe fest, dass er der Priester sein musste.
Bei all der Sorge um sein Pferd und wegen seiner Gefühle für Katherine war ihm das Weihnachtsfest völlig entfallen.
Katherine hatte ihm Cassius’ Leben geschenkt, doch er besaß nichts, was er ihr im Gegenzug schenken konnte.
Rafe ging weiter zum Stall. Ob Weihnachten oder nicht, er würde sich bald auf den Weg machen, und je eher er aufbrach, umso besser. Katherine hatte sich in aller Eile umgezogen. Nun saß sie auf dem Podest in ihrem Saal und schaute gebannt zur Tür, die soeben geöffnet wurde. Enttäuscht atmete sie aus, als sie erkannte, dass nicht Rafe eintrat, sondern ein Fremder in der Kleidung eines Priesters.
Sie versuchte, ihre kindliche Enttäuschung zu überspielen. Für sie war es besser, wenn Rafe im Stall blieb, auch wenn sie fürchtete, er könne nicht zu ihr kommen, weil sich die Verfassung seines geliebten Pferdes womöglich drastisch verschlechtert hatte. Sie würde Hildegard zu ihm schicken, damit sie ihn fragte, wie es dem Hengst ging.
Das leise Räuspern des Priesters ließ sie zusammenfahren und ihre Aufmerksamkeit auf den Mann richten, der sich ihr näherte.
„Ich grüße Euch an diesem Tag vor der Feier der gesegneten Geburt unseres Herrn, Mylady“, verkündete der stämmige Mann, als er näher kam und sich höflich verbeugte. „Pater Bartholomew lässt sich entschuldigen, aber er war zu krank, um herzukommen. Ich wurde an seiner Stelle geschickt.“
„Es tut mir leid, dass es Pater Bartholomew nicht gut geht. Ich hoffe, er ist nicht ernsthaft erkrankt, Pater ...?“
„Coll, Mylady. Ich bin Pater Coll. Nein, es ist nur eine Erkältung. Aber obwohl die Abtei nur eine Meile entfernt ist, erschien das Wetter nicht günstig, und man hielt es für seine Gesundheit für zu riskant, diese Reise zu unternehmen“, erwiderte der Priester.
Verwundert sah Katherine zum Fenster, da ihr das Wetter gar nicht so schlecht erschienen war. Die Sonne schien nicht sehr stark, daran gab es keinen Zweifel, aber das war im Winter nicht anders zu erwarten. Doch wie eine Antwort auf ihren fragenden Blick heulte plötzlich der Wind um das Gebäude, und es wurde dunkler, als hätte eine Böe die Sonne vom Himmel geweht.
„Es wird einen weiteren schweren Schneesturm geben, fürchte ich“, sagte der Priester.
Sie wandte sich zu ihm um und lächelte ihn an. „Dann bin ich umso dankbarer, dass Ihr diese Reise unternommen habt.“
„Mir wurde auch gesagt, dass Ihr ein sehr gutes Mahl serviert“, erwiderte er und lachte leise.
Katherine fragte sich, welcher Mann wohl als Nächstes von ihr erwartete, das Leben als einen Quell der Belustigung anzusehen. „Darf ich Euch etwas zu trinken anbieten?“
Der Priester stutzte. „Vor der Messe?“
„Natürlich erst nach der Messe“, gab sie hastig zurück, während sie errötete. „Wenn Ihr mir einen Augenblick gebt, damit ich meinen Mantel holen kann, dann können wir uns zur Kapelle begeben.“
Nachdem der Priester zustimmend genickt hatte, begab sich Katherine so schnell wie möglich in ihr nüchtern eingerichtetes Gemach. Dort angekommen, lief sie zum Fenster. Der eben noch klare Himmel hatte sich mit düsteren, unheilvollen Wolken zugezogen. Unter
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