2008 - komplett
diesem Jahr würde sie das perfekte Weihnachtsfest feiern. Sie würde in Auftrag geben, dass der Saal mit Immergrün, Stechpalmen und Efeu geschmückt wurde. Die Köchin sollte ihre besten Gerichte zubereiten. Es würde Wein und Würzbier vom Feinsten geben, außerdem Musik und Tanz.
Von einem leisen Lachen begleitet wurde ihr bewusst, dass sie schon jetzt glücklich genug war, um auf der Stelle zu tanzen. Das letzte Mal hatte sie solche Freude an dem Tag verspürt, als Frederick ihr seine Liebe gestand. Mitten in der Bewegung hielt sie inne, alle Gedanken an Musik und Tanz und Feierlichkeiten waren mit einem Mal ausgelöscht worden, gleichsam wie eine Mauer, die bei einem Erdbeben in sich zusammenfiel.
Frederick Delamarch, der Mann, den sie geliebt hatte. Der ihr seine Liebe gestanden und mit ihr das Bett geteilt hatte – um sie anschließend kaltherzig zu verlassen. Der vor seinen Freunden mit seiner Eroberung prahlte, sodass ihr Ruf in Gefahr geriet, was sie nur dadurch abzuwehren wusste, indem sie den alten Mann heiratete, den ihre Eltern für sie gefunden hatten und der bereit war, sie trotz allem zur Frau zu nehmen.
Der charmante Frederick, der gerissene Verführer. Wie würde er wohl heute sein?
Zweifellos Rafe sehr ähnlich, befand sie und war bestürzt ob dieser Antwort auf ihre Frage.
Plötzlich kam sie sich so dumm vor, so alt und dumm. Jahrelang hatte sie versucht, ihre Schülerinnen vor Männern zu warnen, die von der Liebe redeten und ihnen ewige Hingabe versprachen. Zweifellos waren das Lügen, und viel wahrscheinlicher war, dass es sich bei diesen Männern um listige und egoistische Kreaturen handelte, denen es nur darum ging, ihre eigene Lust zu befriedigen. Es war besser, allein zu sein, anstatt benutzt und verlassen zu werden, mit gebrochenem Herzen und verletztem Stolz.
Gerade sie sollte das besser wissen als jede andere Frau.
Schuldbewusst sah sie sich um und ging schneller. Sie hoffte, dass keiner ihrer Bediensteten beobachtet hatte, wie sie den Stall verließ. Was würden sie dann wohl von ihr denken?
Bestimmt würden sie sagen, dass sie die Nacht in Rafes Armen verbracht und sich wie eine lüsterne Bäuerin im Stroh gewälzt hatte. Tief atmete Rafe die kalte, belebende Morgenluft ein und holte kraftvoll aus, als er den Hof überquerte. Er hatte sich gewaschen, um so ansehnlich wie möglich zu sein, wenn er sich in den Saal zu Katherine gesellte. Nicht nur, dass er sich auf ihre Gesellschaft und ein gutes Frühstück freute, sondern es ging Cassius auch deutlich besser.
Und noch wichtiger war, dass Katherine ihn geküsst hatte. Und was für ein Kuss das gewesen war! Er war nicht so eitel zu glauben, es seien allein seine persönlichen Eigenschaften, die ihre leidenschaftliche Reaktion ausgelöst hatten. Vielmehr war er sich so gut wie sicher, dass seine Vermutung zutraf: Es war sehr lange her, seit ein Mann das letzte Mal dieses Feuer in ihr entfacht hatte. So überraschend es auch sein mochte, doch er war tatsächlich der Erste, der nach so langer Zeit die Glut wieder in ihr zum Lodern brachte.
Aber seine gute Laune beruhte nicht allein auf seinem Triumph einer möglichen Eroberung. Ihm hatte ihre Unterhaltung in der vergangenen Nacht mehr Spaß gemacht, als er für denkbar gehalten hätte. In diesen Stunden verband ihn mit Katherine eine Kameradschaft und Nähe, wie er sie bei einer Frau nie zuvor erfahren hatte. Früher redete er mit Frauen nur, um mit ihnen zu schäkern, da sein ganzes Sinnen und Trachten darauf ausgerichtet war, sie in sein Bett zu holen.
Während er nun in Richtung Saal ging, wurde ihm plötzlich bewusst, dass er zwar ihr leidenschaftliches Verlangen teilte und er sie nur zu gern geliebt hätte, doch seine Gefühle gingen über die pure Lust hinaus. Er wollte sich wieder so lange und eindringlich mit ihr unterhalten. Er wollte alles über ihre Kindheit und ihr Leben erfahren, mehr über ihre Schülerinnen herausfinden, ihre geheimen Wünsche ebenso anvertraut bekommen wie die Dinge, die sie bereute. Vor allem aber wollte er sie glücklich machen, weil sie das wirklich verdient hatte.
„Beim heiligen Thomas!“, murmelte er, als ihm ein Gedanke durch den Kopf ging, der ihn veranlasste, langsamer zu gehen. War das etwa Liebe?
Sollte dieser überwältigende Wunsch, in ihrer Nähe zu sein, ihr Gesicht zu sehen ...
sollte das Liebe sein?
Doch selbst wenn es so war, was hatte er ihr schon zu bieten? Er besaß kein Zuhause, kein Land, kein Vermögen. Er war
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