2008 - komplett
kam in einem ernsten Tonfall ohne jede hintergründige Anspielung über ihre Lippen, und doch weckte sie bei ihm Bilder von Bettlaken, die von seinem eigenen Körper gewärmt wurden. Campion wandte seinen Blick ab.
Vielleicht hatte er zu viel Zeit in der Gesellschaft seines liederlichen Sohnes Stephen verbracht. Und wo war Stephen eigentlich? Vermutlich wärmte er gerade wieder ein Bett, und ganz bestimmt nicht sein eigenes, überlegte Campion, der seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammenpresste. Er hatte seine Söhne nicht so erzogen, dass sie wie Mönche leben sollten, dennoch konnte er Stephens gedankenlose Liebeleien nicht gutheißen.
„Danke, dass Ihr uns Einlass gewährt habt, Mylord“, erklärte Lady Warwick, die sofort wieder seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Eine Wolldecke lag um ihre Schultern, den Weinkelch hielt sie mit beiden Händen, um ihre Finger zu wärmen, die ohne den Schutz ihrer durchnässten Handschuhe rosig schienen. Doch sie machte den Eindruck, dass sie sich schon besser fühlte, da sie den Kopf hob und ihn anlächelte, woraufhin Campion vor Schreck die Luft wegblieb.
Sie war eine reizende Person. Das Feuer erfüllte ihre Gesichtszüge mit Leben, und jetzt konnte er deutlich sehen, wie glatt und sanft ihre Haut war, wie voll und lang ihre schwarzen Wimpern waren. Und erst ihre Augen. Sie waren von einem höchst ungewöhnlichen Blau, das an die Farbe von Frühlingsveilchen erinnerte. Campion ertappte sich dabei, dass er sie abermals anstarrte. Kein Wunder, dass seine ganze Familie um ihn besorgt war, denn nur ein Narr oder ein Schwachsinniger konnte von einem hübschen Gesicht so betört sein. Von einem jungen hübschen Gesicht.
Er erwiderte ihr strahlendes Lächeln mit einem würdevollen Nicken. „Ihr seid in meinem Heim willkommen. Aber darf ich fragen, aus welchem Grund Ihr bei diesem üblen Wetter überhaupt unterwegs seid?“
Na bitte, jetzt hatte er sich wieder so im Griff, wie es sein sollte.
Sie setzte sich aufrechter hin, und Campion erkannte eine Kraft, die nicht zu ihrem Alter passen wollte. In ihren violetten Augen leuchtete eine aus Leidenschaft geborene Entschlossenheit und eine Reife, die ihn ihr Alter neu einschätzen ließ. Sie war kein Mädchen mehr, sondern eine Frau, wenngleich sie nicht älter sein konnte als seine Söhne. Doch wo war ihr Ehemann?
„Ich war unterwegs, um Weihnachten bei meinem Cousin zu verbringen, als uns das Unwetter überraschte“, antwortete sie. Sie sah ihm tief in die Augen, als wolle sie ihn herausfordern, über die Dummheit eines solchen Unterfangens zu urteilen, doch Campion entgegnete nichts. Oftmals hielt er es für klüger, zu schweigen, wenn andere redeten, und in diesem Fall lag er mit seinem Urteil genau richtig, denn sie fuhr fort, ohne eine Erwiderung von seiner Seite zu erwarten.
„Dazu muss ich aber auch sagen, dass es nicht so schlimm aussah, als wir uns auf den Weg machten“, räumte Lady Warwick ein. Zwar war sie sich bewusst, fahrlässig gehandelt zu haben, aber ihr entschlossen vorgeschobenes Kinn verriet ihm, dass sie sich dafür von ihm nicht zurechtweisen lassen würde. Campion merkte, wie seine Lippen zuckten. „Gestern Abend waren wir gezwungen, Zuflucht in einem Gasthaus zu suchen, doch da wurden wir von verschiedenen Plagegeistern heimgesucht.
Unsere Hoffnung war, noch vor Heiligabend unser Ziel zu erreichen, aber wie Ihr nun selbst seht, Mylord, sind wir jetzt Eurer Gnade ausgeliefert.“
Es gefiel Lady Warwick nicht, andere um Hilfe zu bitten, das war offensichtlich.
Campion bewunderte diese Haltung, dennoch hatte er Bedenken, was ihre weitere Reise betraf. „Ich biete Euch und Euren Begleitern gern ein Dach über dem Kopf an, aber was ist mit Eurem Ehemann? Wartet er bei Eurem Cousin auf Euch?“
Bei dieser Frage nahm Lady Warwicks Miene einen eindeutig rebellischen Ausdruck an. „Ich bin verwitwet, Mylord, und ich führe seit vielen Jahren meinen Haushalt selbst“, sagte sie in einem herablassenden Ton, mit dem sie ihn wohl zurechtweisen wollte. Er verkniff sich ein Lächeln, denn wenn schon die arrogantesten und aufgebrachtesten Männer ihn nicht hatten beeindrucken können, dann stellte diese sture junge Frau ganz sicher keine Bedrohung für ihn dar.
„Ich verstehe“, antwortete Campion, der seine Überlegungen für sich behielt. Die Männer aus ihrer Gruppe gingen zur Tafel, um sich etwas zu essen zu holen, woraufhin Campion einem Diener ein Zeichen gab, ihr eine Portion auf einem
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