2008 - komplett
hatte er einen der schmalen hohen Fensterläden geöffnet, woraufhin er von einem eisigen Wind und umherwirbelnden Schneeflocken getroffen wurde. Er konnte sich nicht daran erinnern, je ein so schlechtes Wetter erlebt zu haben, und mit einem Kopfschütteln nahm er von der Heftigkeit des Schneesturms Kenntnis, der Grund dafür, warum seine Söhne fernblieben. Im Winter zu reisen, war noch nie ein Vergnügen gewesen, doch niemand würde so dumm sein und sich auf die gefrorenen Wege begeben, wenn dazu noch ein solcher Sturm tobte. Und Campion wollte auf keinen Fall seine Familie in Gefahr bringen, nur weil er als Vater gern seine Kinder gesehen hätte.
Dennoch konnte er seine Enttäuschung nicht leugnen, da er sich daran gewöhnt hatte, zur Weihnachtszeit von seinem Nachwuchs umgeben zu sein. Es war seit einer Weile die einzige Gelegenheit im Jahr, zu der sie alle zusammenkamen, und Campion hatte bislang noch nicht die Frau eines seiner Söhne und seinen jüngsten Enkel zu sehen bekommen.
Vielleicht wäre die Weihnachtszeit erträglicher gewesen, hätten nicht so viele von ihnen in diesem Jahr gefehlt, aber von seinen sieben Söhnen waren nur zwei auf Campion Castle, so wenige wie nie zuvor. Auch wenn er jeden von ihnen im gleichen Maße liebte, wusste der Earl, dass Stephen und Reynold die beiden waren, von denen am wenigsten Frohsinn zu erwarten war. Der kluge Stephen hatte zu viel von seinem Talent im Wein ertränkt, und Reynold begegnete wegen seines verkrüppelten Beins dem Leben mit einer finsteren Miene, die alles Lügen strafte, was er erreicht hatte.
Seufzend trat der Earl von einem Bein aufs andere und hieß den bitterkalten Wind willkommen, der zu seiner düsteren Stimmung passte. Er war zu keiner Zeit davon ausgegangen, dass alle seine Söhne auf Campion bleiben würden, doch er hatte auch nicht erwartet, so viele von ihnen könnten sich anderswo niederlassen. Wer würde Campion übernehmen, wenn er einmal nicht mehr war? Sein unmittelbarer Erbe war Dunstan, doch der Älteste de Burgh hatte mit seinem eigenen Gut und dem Vermögen seiner Frau genug zu tun. Geoffrey und Simon hatten erst vor Kurzem geheiratet und waren zufrieden damit, in den Häusern zu leben, die ihnen bei der Heirat zugefallen waren. Robin kümmerte sich um Dunstans Anwesen im Süden, und der stets nach neuen Abenteuern Ausschau haltende Nicholas hatte sich ihm dort angeschlossen.
Campion war stolz auf das, was sie geleistet hatten und wie eigenständig sie geworden waren, dennoch erfüllte ihre Abwesenheit ihn mit einer gewissen Melancholie. Nicht nur, dass sie ihm fehlten, ohne sie würden die Feiertage nicht dieselben sein. Derartige Feiern waren die Wirkungsstätte der Frauen, wie Campion nur zu gut wusste, der selbst zwei Ehefrauen zu Grabe getragen hatte. In den letzten Jahren war es Dunstans Gemahlin gewesen, die sich um den Schmuck im Saal gekümmert und darauf geachtet hatte, dass keine Tradition vergessen wurde. Wer würde sich um diese Dinge sorgen, wenn sie nicht hier war?
Es war ihnen gelungen, das Weihnachtsscheit hereinzuschleppen, als das Unwetter für einen kurzen Moment nachließ. Natürlich würde es auch ein Festmahl geben.
Aber wer sollte sich die Zeit nehmen, um den Weihnachtsstrauch zu schmücken und auf allen Spielen, Geschenken und Liedern zu bestehen?
Campion stellte sich vor, wie er in diese Rolle schlüpfte, aber er konnte sich nicht sonderlich dafür begeistern, zumal Stephen und Reynold seine Bemühungen ohnehin kaum zu würdigen wussten.
Plötzlich hörte er Schritte und legte seine Hände an den Fensterladen. Es stand dem Earl of Campion nicht zu Gesicht, wenn jemand ihn dabei beobachtete, wie er entmutigt aus dem Fenster starrte. Schlimmer noch: Es würde ihm ganz und gar nicht gefallen, wenn ein Diener herbeieilte, um für ihn die Kälte auszusperren, als sei er entkräftet. Ihm war aufgefallen, dass er in der letzten Zeit mehr als üblich umsorgt wurde, was ihm gar nicht recht war. Zugegeben, er war nicht mehr der Jüngste, doch er war hier immer noch der Herr im Haus, und wenn er sich gegen seine Ritter behaupten konnte, dann erst recht gegen seine kräftigen Jungs.
Campion hielt inne, als er im wirbelnden Schnee etwas Dunkles ausmachte, das sich bewegte. Er beugte sich vor, doch der Schnee nahm ihm die Sicht auf das Land unter ihm. Vermutlich war es nichts gewesen, dennoch würde er einen Mann nach draußen schicken, damit der sich auf dem Anwesen umsah. In diesem Augenblick hörte er hinter
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